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Es gibt auch ein anderes Israel

Hans Lebrecht im Gespräch

(ERZÄHLERIN) An diesem Morgen werde ich schon ungeduldig erwartet. Hans Lebrecht begrüßt mich im Eingang des kleinen Hotels in der Nähe des Kölner Doms. Vor mir steht ein drahtiger alter Herr mit schlohweißem dichten Haar. Seine 88 Jahre sieht man ihm nicht an, und seine gute Laune läßt kaum auf das ernste Thema schließen, weswegen er die weite Reise von Israel nach Deutschland auf sich genommen hat: Er will für die Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern werben.

(HANS LEBRECHT) Ich beschäftige mich damit schon seit langem, eigentlich seit ich in Palästina und Israel lebe. Das sind schon 65 Jahre – 64 Jahre, Entschuldigung. Und das ist mir ans Herz gewachsen. Warum? Ich bin Israeli. Früher war ich mal, in den ersten 20 Jahren, war ich ein guter Deutscher, und jetzt bin ich ein guter Israeli, weil ich das Gute für mein Land suche. Deswegen ist es mein Wunsch und mein Ausdruck, daß ich auch mit den Palästinensern zusammen... Ich lebe in einem Land mit ihnen. Und es geht nicht anders. Ob's eine Chance für Frieden gibt? Natürlich gibt's eine Chance. Ob die Chance, wann und ob die Chance ausgenützt wird, das ist die große Frage.

(ERZÄHLERIN) Hans Lebrecht spricht engagiert und lebhaft. Als gebürtiger Ulmer hat er seinen schwäbischen Akzent nicht verloren. Er hat einmal als Deutscher gelebt und gefühlt und wollte 'für Deutschland etwas tun gegen die Nazis'. Als Jugendlicher schloss er sich dem antifaschistischen Widerstand an. Als die Gestapo nach ihm fahndete, mußte er ins Ausland flüchten. 1938 folgte er seiner ebenfalls jüdischen Freundin Tosca nach Palästina, damals noch britisches Mandatsgebiet. Er kam nicht als jüdischer Siedler, hatte keine Aufenthaltserlaubnis und auf die Verhältnisse im Land war er nur ungenügend vorbereitet.

(HANS LEBRECHT) Bevor ich kam, ich habe gewußt, daß es hier auch Araber gibt. Und Juden, und daß es Probleme gab. Das war ja gerade in der Zeit, in der auch Unruhen waren. Was dahintersteckt habe ich natürlich nicht gewußt, die Hintergründe. Das war mir völlig fremd. Ich habe keine zionistische Erziehung bekommen. Ich wußte soviel wie alle anderen Leute in Deutschland auch. Daß dort Unruhen sind, mehr nicht. Und ich kam dorthin und ich war schockiert. Sofort von Beginn an war ich schockiert über den Rassenhaß, den ich in Deutschland erlebt habe, leider erleben mußte, daß ich den dort auch wiedergefunden habe. Diesmal gegen die Araber. Da habe ich dann gesucht, was ist da los? Ich habe Palästinenser gesucht. Aber ich konnte ja noch nicht einmal die Landessprache, die mußte ich mal zuerst mich daran gewöhnen, daß man da eine andere Sprache spricht. Das war auch schwierig. Aber dann, weil ich illegal im Land war, kam ich dann ins Gefängnis. Und dort habe ich den ersten direkten Kontakt auch mit Palästinensern gefunden, die politisch geschult waren oder die mich aufklärten, was sich da tut. Da war einer da, der hat mich aufgeklärt, und was sein würde nach dem Krieg, daß Juden und Araber müssen zusammen arbeiten, zusammen darauf hinwirken, daß das britische Kolonialmacht weggeht, und daß wir zusammen einen demokratischen Staat aufbauen. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich glaube, das hat mein späteres Leben bis zum heutigen Tage geprägt.

(ERZÄHLERIN) Dem kleinen Mann mit den wachen Augen ist nichts davon anzumerken, welchen Anfeindungen er in seinem Leben ausgesetzt war. Mit seiner Idee, in Palästina ein gemeinsames Land für Juden und Araber aufzubauen, hat er sich nur wenige Freunde gemacht. Sie wurde von der Mehrheit der Araber, der jüdischen Siedler und nicht zuletzt der britischen Kolonialmacht vehement abgelehnt.

(HANS LEBRECHT) Dann kam natürlich 1947 der UNO-Beschluß, daß die Briten müssen raus aus Palästina und dort sollen zwei Staaten entstehen. Ein jüdischer Staat und ein arabischer Staat. Wir waren – ich war begeistert, meine Frau auch, die Familie, alle meine Freunde waren da begeistert, daß wir jetzt einen jüdischen Staat bekommen. Ich war auch – wir haben auf der Straße getanzt. Ja, wir waren noch jung. Aber das – das ist mir schon gleich aufgefallen: Der UNO-Beschluß sagt gar nicht, daß ein jüdischer Staat entsteht, sondern daß zwei Staaten entstehen: Ein jüdischer und ein arabischer.

(ERZÄHLERIN) Für eine Einlösung dieses Beschlusses hat sich Hans Lebrecht sein Leben lang eingesetzt. Am 14. Mai 1948 proklamierte David Ben Gurion den Staat Israel. Am Tag darauf zogen die letzten britischen Militäreinheiten ab. Um den Teilungsplan zu verhindern, marschierten Truppen der umliegenden arabischen Nachbarländer ein. Es war der Beginn des ersten Arabisch-Israelischen Krieges – mit verheerenden Folgen für die Palästinenser, die sich am Krieg so gut wie nicht beteiligten. Hans Lebrecht kämpfte als Soldat auf der israelischen Seite und wurde verwundet. Für ihn wie für alle Juden war es der Unabhängigkeitskrieg, für die Palästinenser bedeutete er 'Al-Nakba' – die Katastrophe, Flucht und Vertreibung. Hans Lebrecht bewahrt bedrückende Erinnerungen an die Flüchtlingstrecks. Ein Offizier drohte ihm mit dem Standgericht, weil er Wasser an durstende palästinensische Flüchtlinge verteilen ließ. Warum hat er sich auch nach dem Sieg Israels weiter für die Rechte der Palästinenser eingesetzt?

Hasn Lebrecht: Im Grund genommen könnte man sagen, weil ich unter Rassentheorie habe ich ja in Nazi-Deutschland genug gelitten. Und das konnte ich nicht, das kann nicht, ging nicht bei mir rein. Nicht in den Kopf und nicht ins Herz. Wie ist das möglich? Es sind zwei Nationen. Und in Israel selbst gab es ja auch Juden und Araber. Die Mehrzahl waren natürlich dann schon Juden, und aber eine Minderheit von arabischen Palästinensern. Schon in den ersten Jahren, 1949/50 hat Israel neun Gesetze geschaffen, daß sie legal Land von den Arabern wegnehmen können. Zuerst einmal Land von denen, die weg waren, die entweder geflohen sind während dem Krieg oder vertrieben wurden. Da waren natürlich Ländereien, die jetzt brach lagen, weil die Besitzer weg waren. Das war das erste Gesetz. Dann kam ein 'Brachlandgesetz', daß eine landwirtschaftliche Fläche nicht brach liegt zwei Jahre, hat jetzt der Staat das Recht, das wegzunehmen. Und dann haben sie eine Militärregierung gemacht für die Araber, für die Ländereien im Galil und im Dreiecksbezirk, die hauptsächlich von Arabern bewohnt sind, wo die Araber nur aus ihrem Dorf oder aus ihren Städten heraus durften, wenn sie ein besonderes Erlaubnis vom Militärgouverneur erhalten haben. Und da haben sie es so gemacht, daß Dörfler durften nur noch 10 Meter von ihrem Dorf weggehen. Schluß. Brauchen eine Genehmigung, um auf ihre Felder zu kommen. Und die haben sie nicht bekommen, zwei Jahre lang brach gelegen, weg das Land, war konfisziert. Mit all solchen Mitteln haben sie da das Land erobert. Die haben schon bis 1960 haben sie schon gleich über 60 Prozent von der arabischen Bevölkerung das Land geraubt. Das hat mich schrecklich aufgeregt. Und dann habe ich auch Leute gekannt. Ich bin in die Dörfer raufgefahren, habe mich meist mit Englisch unterhalten, weil ich – Hebräisch konnte ich dann schon ein bißchen, aber... Und die haben auch schon Hebräisch gekonnt. Für einen Araber ist das ja leicht, Hebräisch zu lernen, weil das eine ganz ähnliche Sprache ist. Aber trotzdem haben wir uns meist Englisch unterhalten mit den gebildeten Arabern. Aber trotzdem, man ist durchgekommen. Und ich habe Freunde gewonnen in verschiedenen Dörfern, in West-Galil, Galiläa, in Nazareth und dann so. Und meine Frau und ich, wir waren zusammen, wir sind immer dahin gefahren. Wir haben gute Freunde gehabt, und da haben wir uns unterhalten: Wie kann man dem entgegnen? Was kann man da dagegen machen? Das ist ja unmöglich.

(ERZÄHLERIN) Gemeinsam mit gleichgesinnten jüdischen Freunden legten sich Hans Lebrecht und seine Frau Tosca vor Traktoren und gepanzerte Fahrzeuge, um gegen die Beschlagnahmung arabischer Böden zu protestieren. Mit diesen Widerstandsaktionen zeigten sie den Palästinensern, daß es auch auf jüdischer Seite Menschen gab, die sich für die Rechte der arabischen Minderheit einsetzten.

(HANS LEBRECHT) Um eine Episode zu erzählen: 1965 war das glaube ich schon, nach Abschluß der Kundgebung haben uns die Dorfbewohner aufgefordert, wir sollen doch in ihre Dörfer kommen. Kaffeetrinken. Sie sollen mal sehen, was sich tut. Ich glaube, ein ganz großer Teil von den jüdischen Bevölkerung, die dabei waren, besonders die jüngere Generation, die waren zum ersten Mal in einem arabischen Dorf.

(ERZÄHLERIN) Es waren und sind wenige, die, wie Hans Lebrecht, den Kontakt nicht scheuen. Heute leben etwa eine Million Palästinenser in Israel. Trotz des Zusammenlebens auf engem Raum, gibt es so gut wie keine privaten Verbindungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen. Auch die besetzten Gebiete scheinen für viele Lichtjahre entfernt zu sein.

(HANS LEBRECHT) Ich hatte einen guten Freund aus meiner eigentlichen Heimatstadt Ulm. Ein Jude aus Ulm. Der sagte: Wie kannst du denn in ein arabisches Dorf gehen? Das ist doch gefährlich. Der war in seinem ganzen Leben, der ist vor fünf Jahren gestorben, der war in seinem ganzen Leben nie in einem arabischen Stadt oder Dorf. Und das waren schon recht gebildete Leute. Ja? Aber unter der Bevölkerung, das war und ist auch heute noch irgendwie verpönt, und jetzt so überhaupt, jetzt ist die Sicherheit, ist gefährlich.

(ERZÄHLERIN) Auch wenn Palästinenser und Israelis sich so wenig kennen – die Ursache des Konflikts liegt für Hans Lebrecht nicht in der Psychologie begründet.

(HANS LEBRECHT) Das Grundproblem ist, daß der Beschluß von den Vereinten Nationen von 1947 nur einseitig durchgeführt wurde. Ich habe zu den jüdischen Israelis gehört, die schon in den 50er Jahren immer gesagt haben: Solange die Palästinenser nicht ihren eigenen Staat an der Seite von Israel haben, wird's keinen Frieden geben. Es waren immer Unruhen, da hat's immer Zusammenstöße gegeben. Mal mehr und mal weniger. Und dann 67, während dem 67er Eroberungskrieg sage ich ja, sozusagen der Sechstagekrieg, der schon 13.000 Tage oder so was weitergeht, der ist ja noch nicht zu Ende, der Krieg. Das ist ein Eroberungskrieg gewesen, ja. Damals war ich in der Knesset. Ich habe in der Knesset gearbeitet. Ich weiß genau, was sich getan hat. Ich kenne alle die Lügen, die da verbreitet wurden und werden darüber, über den Krieg. Es wird nicht anders gehen. Müssen zwei Staaten sein. Und solange das nicht sein wird, wird's keinen Frieden geben. Unmöglich. Wir wären nicht einverstanden gewesen, wenn wir keinen Staat bekommen hätten. Und so können die Palästinenser nicht einverstanden sein, bis die nicht ihren Staat – wenigstens auf dem Restgebiet, das damals nicht erobert wurde, 1948/49. Das sind ja nur 22 Prozent von ganz Palästina, von ihrem eigentlichen Heimatland. Warum sollen sie nicht das Recht behalten?

(ERZÄHLERIN) Hans Lebrechts Vater war Lederwarenfabrikant in Ulm. Sohn Hans durfte unter den Nazis nicht mehr das Gymnasium besuchen. Er machte eine Lehre als Maschinenschlosser und kam in Kontakt mit dem kommunistischen Widerstand. Die Kommunisten empfand er als natürliche Verbündete, weil auch sie verfolgt wurden. Seine Ausbildung als Handwerker kam ihm später In Palästina zugute. Er fand während der britischen Mandatszeit Arbeit in einer Fabrik. Nach dem ersten israelisch-arabischen Krieg war er Invalide und konnte nicht mehr in die Fabrik zurück. Eine Zeitlang schlug er sich als Taxifahrer durch. Seit 1955 ist er Journalist und arbeitet heute noch in diesem Beruf. Auf dem Schreibtisch des Hotelzimmers steht sein brandneuer Laptop. Am Morgen hat er bereits im Internet die wichtigsten Meldungen der internationalen Presse gelesen. Hans Lebrecht war von 1965 bis 68 Sekretär der kommunistischen Fraktion in der Knesset. Sie vertrat als einzige die Interessen beider Bevölkerungsgruppen, der jüdischen wie der arabischen.

(HANS LEBRECHT) Die Kommunisten waren immer sogar eine kleine Minderheit, würde ich sagen. Aber die waren legal. Wir waren immer in der Knesset. Die Kommunistische Partei hat ja die Unabhängigkeitsurkunde unterschrieben. Ja, mit verfaßt und unterschrieben. Und deswegen waren wir auch immer legal. Ich habe nicht nur als Journalist gearbeitet in der Knesset, ich war auch gewerkschaftlich tätig, noch vor meiner journalistischen Tätigkeit war ich Arbeiter und war auch gewerkschaftlich tätig. Das war für mich auch sehr wichtig sogar. Ich habe nie gelitten, weil ich in meinem Kopf, da war ich stolz darauf, daß ich eine Anschauung habe, die alle Israelis sollten sie ja haben. Gelitten haben meine Kinder, da bin ich überzeugt davon. Meine Frau ist mit mir gegangen. Die war auch Kommunistin. Aber die Kinder in der Schule und so, die haben schon Schwierigkeiten gehabt.

(ERZÄHLERIN) Eine ganze Reihe Israelis, die mit der Politik ihres Landes nicht einverstanden sind, haben Israel wieder verlassen. Auch aus Hans Lebrechts Familie: seine Schwägerin, die Sängerin Esther Bejarano, und eine seiner Töchter leben inzwischen wieder in Deutschland. Hans Lebrecht jedoch und seine Frau Tosca, die vor zwei Jahren verstorben ist, haben sich entschieden, in Israel zu bleiben.

(HANS LEBRECHT) Um ehrlich zu sein, während dem Weltkrieg war es klar für meine Frau und mich, daß wir nach dem Hitler-Spuk in unsere Heimat nach Deutschland zurückgehen. Allerdings in den Jahren während des Weltkrieges haben wir schon Kinder bekommen. Und wir wurden irgendwie verwurzelt im Land. Dann kam 1945 die Schwester meiner Frau nach Israel, die hat Auschwitz überlebt. Und wir haben ihr natürlich geholfen. Und da konnten wir ja nicht weggehen. Und es ging ja auch nicht. Vor 1949 haben die britische Besatzungsmacht in Deutschland dafür gesorgt, daß aus Palästina keine Juden nach Deutschland einwandern können. Erst ab 49 konnten wir... Bis dahin sind wir schon verwurzelt gewesen und ich wollte schon nicht mehr. Ich war 1951 noch mal in Ulm, das erste Mal nach dem Weltkrieg. Eigentlich mit dem Hintergedanken, eventuell vielleicht gibt's Hoffnung. Aber mich hat's so abgestoßen, was sich damals getan hat. In Ulm, das war früher eine Hochburg von den Nazis, hat's plötzlich überhaupt keine Nazis gegeben. Was mich dort hält? Ich liebe das Land. Ich habe mich richtig verliebt. Es ist ein herrliches Land mit Berge, mit Wüste, mit Meer, was man will. Und wirklich schön. Und auch Leute. Meine Freunde sind alle dort. Da arbeite ich politisch genauso wie hier in Deutschland es welche geben, die die Politik ändern wollen. Ich will nicht das Land ändern. Ich will die Politik ändern. Gerade in Deutschland, wenn ich in Deutschland spreche, muß ich das sagen. Wenn man die Politik, die fürchterliche Politik, Kriegspolitik im Moment sogar, kritisiert, ganz gleich wo, ob es in Israel oder in Deutschland ist, da wird dann hier gleich gesagt, das ist Antisemitismus. Das ist nicht richtig. Das wäre genauso, wenn ich Kritik übe, was sich in Amerika tut mit Bush oder mit was. Da ist es an dem, da bin ich deswegen gegen die Amerikaner? Nein. Ich bin gegen die Politik, die schlecht ist. Und die ich möchte, daß sie geändert wird.

(ERZÄHLERIN) Hans Lebrecht ist mit Leib und Seele ein politischer Mensch. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Auch nicht, wenn es um so heikle Themen geht, wie den bewaffneten palästinensischen Widerstand.

(HANS LEBRECHT) Den halte ich für völlig berechtigt. Und weil ich so denke, war ich schon mal im Knast und hab einen großen Prozeß gehabt. Bei dem ich am Ende freigesprochen wurde. Das palästinensische Volk hat das Recht, Widerstand zu leisten gegen die fremde Besatzung. Israel in der Westbank, in Ost-Jerusalem und im Gaza-Streifen ist Besatzermacht. Und zwar, ich glaube, daß jeder Deutsche am Fernsehen mitkriegt, was für eine Besatzermacht, mit welchen Mitteln die Besatzermacht vorgeht sogar. Schon während meinem Prozeß, den ich ja 1978 gehabt habe, den ich gerade erwähnt habe, da wurde ich gefragt, da hat mir der Staatsanwalt vorgelegt eine Rede, die ich mal in Havanna gehalten habe auf einem Journalistenkongreß. Und da hat er gesagt: Da haben Sie erwähnt, daß das palästinensische Volk das Recht hat, Widerstand zu leisten. Mit allen Mitteln, die es so für richtig hält. Habe ich gesagt, ja, natürlich das ist so. Allgemein gesagt, das steht in der Internationalen Konvention von Haag von 1907, das wurde noch mehr ausgebaut bei den Statuten und Prozeß-Urteilen im Internationalen Gerichtshof gegen die Nazi-Hauptverbrecher in Nürnberg. Ausdrücklich wird da gesagt, daß ein Volk, daß ein Land, das militärisch besetzt ist, das Recht hat, Widerstand zu leisten mit allen Mitteln, die dieses Volk für richtig hält. Im Grundsatz ist das kein Terror, was die Palästinenser machen, sondern das ist berechtigter, legitimer Widerstand nach dem Völkerrecht. Ich war im Untergrund. Im Widerstand gegen Nazi-Regime habe ich in Deutschland gewirkt von 1936 bis 38. Und auch in Israel, die Partisanen in der Ukraine und in Polen und in Frankreich und wo sie gekämpft haben gegen Nazis, das sind Helden. Ja? Auch in Israel. Warum plötzlich die Palästinenser nicht? Weil da Israel die Besatzermacht... ich finde so viele Parallelen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die gezielte Liquidation mit militärischen Mitteln, mit Exekutionen, außergerichtliche Exekutionen von palästinensischen Führern, das erinnert mich an was die Nazis mit den Partisanen gemacht haben. Und den Nazis hat's am Ende nichts genützt. Sie haben trotzdem den Krieg verloren.

(ERZÄHLERIN) Hans Lebrecht ist ein unverwüstlicher Optimist. Auch wenn die Lage so hoffnungslos aussieht wie noch nie: Er glaubt fest daran, daß es irgendwann zwei Staaten geben wird, die friedlich nebeneinander existieren.

(HANS LEBRECHT) Ich bin überzeugt davon, daß das kommen wird. Im Moment sieht es nicht so aus. Aber das geht nicht anders. Das geht nicht. An sich ist das, was die Israelis machen, ist Kolonialismus. Das ist purer Kolonialismus. Und so, wie am Ende überall die Befreiungsbewegung hauptsächlich erreicht haben, daß diese Art von Kolonialismus, wie sie Israel im Moment betreibt, eigentlich anachronistisch ist. Und das muß zu Ende gehen. Es wird zu Ende gehen. Je länger das bis dahin geht, wird's mehr Tote geben auf beiden Seiten. Und das ist das Unglück. Das ist schrecklich. Warum macht man den Frieden nicht jetzt, bevor noch weitere Tote gibt? Das wäre möglich. Sofort. Israel wird sicher, wenn Israel bereit ist, rauszugehen aus den besetzten Gebieten zu den Waffenstillstandslinien, die vorher waren, wie es auch die Vereinten Nationen und der Sicherheitsrat fordern. Die Siedlungen sollen sie lassen. Da können Flüchtlinge rein kommen. Aber die Siedler – die Siedler sollen zurück und die Möglichkeit erhalten, zurückzukommen nach Israel. Und dann wäre die Sache gelöst.

(ERZÄHLERIN) In Israel gehört Hans Lebrecht zu den Außenseitern. Das war schon immer so, aber es hat ihn nicht entmutigt. Er ist ein Querdenker. Noch heute beteiligt sich der 88jährige an Friedensdemonstrationen in Israel und den palästinensischen Gebieten. Er hat Ideen und ist offen für neue Initiativen. Eine große Rundreise macht er jedesmal in Deutschland, um seine vielen Freunde zu besuchen und an Veranstaltungen teilzunehmen. Vor allem die Diskussion mit jungen Menschen liegt ihm am Herzen. In Hamburg trifft er sich mit einem Schüler, der sich per Email an ihn gewendet hatte, um die Situation in Israel besser zu verstehen. In seiner Heimatstadt Ulm ist er seit Jahren regelmäßiger Gast und Gesprächsteilnehmer in Schulen und Versammlungen. Als Zeitzeuge spricht er dort über Antisemitismus und Verfolgung während des Nationalsozialismus in Deutschland. Als engagierter Zeitgenosse möchte er einen kritischen Blick auf sein Land Israel öffnen – und vielleicht einen hoffnungsvollen auf die Zukunft zweier Völker. Woher nur nimmt er diese ganze Energie? Hat sich der lebenslange Einsatz für ihn gelohnt?

(HANS LEBRECHT) Ja. Unbedingt. Ich bin überzeugt davon. Ich meine, gelohnt – Belohnung habe ich nie gefordert. Ja? Aber es ist klar, es lohnt sich. Ich habe gesagt, wir waren ein kleines Häuflein in den 50er Jahren, 60er Jahren, besonders nach dem 67er Krieg waren wir ein kleines Häuflein, die noch genügend Verstand gehabt zu sagen, was da los ist. Warum, und wie das gelöst werden muß. Heute ist es eine große Menge. Und das, natürlich gibt das Kraft. Man sieht das doch. Es gibt auch so ein Israel. Ein anderes Israel. Sie haben vorher gefragt, ob es eine Lösung gibt. Ja, ich sage sehr oft in Diskussionen in Israel, ich bin in der Weimarer Republik aufgewachsen. Im Elternhaus und in der Schule, da wurde mir eingetrichtert, daß Deutsche und Franzosen können nie an einem Tisch friedlich zusammensitzen. Einer will den anderen umbringen. Und heute braucht man nicht mal mehr einen Paß, einen Reisepaß, um von einem Land zum anderen zu kommen. Man lebt in Frieden zusammen. Und so wird es auch mal bei uns sein.

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