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Allein machen sie dich ein

"Die Provinz, die Revolte und das Leben danach": An Utopien erinnern

Einer ist Theaterleiter geworden, eine Grundschullehrerin, einer Werbefachmann, eine Geigerin an der Musikschule, eine Psychiaterin und einer, der Autor des Films, Dokumentarfilmer. So kann Regisseur Robert Krieg einen angenehm sparsamen Off-Kommentar zu Dingen sprechen, die er aus eigener Erfahrung kennt. In "Die Provinz, die Revolte und das Leben danach" berichtet Krieg über ein Kapitel der Stadtgeschichte von Münster, das über das Regionale hinausweist, weil es typische Zeitgeschichte der 70er Jahre und ihre Folgen vermittelt.

Im Mai 1974 bezogen etwa 40 Studenten, Lehrlinge, Angestellte, Heiminsassen und Kinder das ehemalige Hotel Kronenburg an der Hammer Straße und versuchten, mit der hauseigenen Kneipe als "Wohnzimmer" selbstverwaltete alternative Lebensformen herzustellen. Die Fluktuation war groß, aber alle einte der Gedanke, die Welt zu verändern, fern der politischen Parteien und natürlich sozialistisch.

Krieg, der mit ihnen lebte, montiert Interviews, Fotografien, Home Movies, Presseausrisse und wenige, aber treffende Musiktitel von den Doors und "Ton Steine Scherben" zu einem schönen Bilderbogen, der an vergangene Utopien, gescheiterte Ideale und Erfahrungen erinnert, die keiner der Beteiligten missen will.

Lehrerin Gabi Büscher erinnert sich, wie sie keine fixierte Zweierbeziehung und ohne Besitzansprüche auskommen wollte, aber: "Die Unverbindlichkeit hat mich auch nicht glücklich gemacht." Man engagierte sich gegen Atomkraftwerke, war in der Schlacht um Brokdorf dabei und holte sich, wie Uwe Köhler, heute Chef des "Titanick"-Theaters, ein Lungenödem wegen der Rauchbomben der Polizei. Nachbarn erinnern sich an Ruhestörung, ein Streifenbeamter ("Man glaubte, das Böse ginge von der Kronenburg aus") an Polizeieinsätze.

Der Kurswechsel in Privatheit und Kultur, Zirkus und Theater gelang nicht allen. Was blieb? Schmerz, Trauer um das Fehlen von Visionen und Gedanken an die Träume von damals. Eine Liedzeile bringt vieles auf den Punkt: "Allein machen sie dich ein." Sehenswert.

(ger)

Westfälische Nachrichten, 14. Mai 2004
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