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„Freie Presse“ ging der Sache nach

Erst blinder Alarm – und denn platzte die "Bombe"! Zum Drehbuch eines Dortmunder Dokumentarfilm-Teams

Es war richtig toll spannend, wie bei Edgar Wallace. Am Montag, dem 5. März anno 1990, drohte zur friedlichen Mittagszeit ein anonymer Anrufer, Zwickaus Kreisgericht in die Luft gehen zu lassen. Was dann folgte, wurde dieser Tage (leider) schon des öfteren geprobt. Die Hüter des Rechts verließen den angeblich dynamit-geschwängerten Tempel Justicias, Feuerwehrleute und Volkspolizisten zogen suchend ein. BIinder Alarm!

Blinder Alarm? So ganz beiläufig ist eine Bombe ganz anderer Art dabei in die Luft gegangen... Just zur Attentatszeit wollten, wie uns eingeweihte Leute unter dem Siegel der Vertraulichkeit berichteten, allhier zu Gerichte Zwickaus Stadtoberhaupt und Vertreter von Baufirmen einen Vertrag notariell absegnen lassen. Etliche Gebäude städtischen Eigentums sollten für 99 Jahre verpachtet werden.

Nun hat die Story ein Vorspiel. Im Eckhaus Ring / Leipziger Straße, das älteren Zwickauern als "Meistereck" bekannt ist, wohnen brave Zwickauer Bürgersleut. Unter ihnen Frau Monika, Krankenschwester in rollender Woche und Mutter fünfer Kinder von acht bis achtzehn Lenzen, die gemeinsam mit der Familie eine Wohnung ausbaut.

Gerade sie bekam nun dieser Tage einen lapidaren Zettel, handgeschrieben und ohne Briefkopf, mit einem Stempel "Gebäudewirtschaft" zugesteckt. Dieses so ungemein formlose Papier enthielt den schroffen Befehl: "Betrifft sofortigen Baustopp. Wegen Beschluß des Hausverkaufes durch den Oberbürgermeister ist der Ausbau der WE sofort zu unterlassen." Nun hat sich Frau Monika beileibe nicht ruhig verhalten. Gemeinsam mit ihrer Nachbarin verwandelte sie sich in einen Privatdetektiv vom Format eines Matula. Man bekam heraus: Der Oberbürgermeister wolle für 99 Jahre ihr Haus an eine "GmbH Sachsenbau" verpachten, diese daraus eine Bankfiliale machen. Dann ging's beschwerdeführend zum Neuen Forum. Ein Dortmunder Dokumentarfilmteam, das des Wegs kam, wurde mitgenommen vor Gericht, um dieses gerichtsnotorische Geschäftsgebahren aufzuzeichnen. Es platzte die Bombe! (Obgleich die dynamitene nicht gefunden wurde).

Nun sehen die Zwickauer ein, daß manches Wohnhaus (vor allem im Zentrum) ein prächtiges Geschäftshaus sein könnte. Sie zollen der bisher ungekannten "Sachsenbau GmbH" volle Achtung ob ihres Ausbauwillens. Nur könnte dieser, so meine ich, nicht auch in die Richtung gelenkt werden, daß Wohnungen ausgebaut, daß den Bürgersleuten im "Meistereck" eine schöne Wohnung angeboten würde – anstelle eines "Ausbau-Stopp-Zettels"? Wären nicht die Juristen im Stadtgericht dazu da, das Recht zu schützen? Recht schützen heißt doch, Eigentum der Stadt bewahren, sichern, daß ein Mieter beim Auszug aus seiner Wohnung (man müßte ihm auch erst mal eine anbieten) infolge Umbaus zu einem Geschäftshaus jede selbstinvestierte Mark (und den Umzug dazu) finanziert bekäme.

Fragen über Fragen! Sie wurden sogar auf den Runden Tisch gelegt. Dieser formulierte eine einmütige Antwort: Sofort ist jedwede Veräußerung von kommunalem bzw. volkseigenem Grund und Boden an BRD-Firmen zu stoppen, eine Arbeitsgruppe soll verantwortungsbewußt – vor allem auch im Interesse der Mieter – entscheiden.

So gesehen, könnten Krankenschwester Monika, ihr Mann und beider Kinderschar nebst anderen Mietern erst einmal aufatmen. All das, was sie mir erzählt haben, wollte ich nur mal schnell zu Papier bringen. Sollten diese Zeilen die Dortmunder Filmleute evtl. für das Textbuch ihres Video-Dokumentarfilms nutzen, hätte ich einen Vorschlag: Wenn´s dafür Honorar gäbe, würde ich es auf alle Fälle dem neugebildeten Mieterschutzbund stiften.

In diesem Sinne, Hans Dampf

Freie Presse, 9. März 1990

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