Die Kaffeeküche unterm Bett
"Ich kam nach Palästina..."
Sie alle zahlen den Preis, den man zahlen muss, wenn am an etwas glaubt, was die Mehrheit nicht will. In den 30er Jahren kamen sie nach Palästina mit der Illusion, dort einen jüdischen Sozialismus zu verwirklichen. Sie waren jung, auf der Flucht vor den Nazis, idealistisch. Die Frauen wollten keine frauentypischen Arbeiten mehr verrichten, sondern packten zu wie Männer. "Die Kibbuzbewegung war naiv", erklärt die 90-jährige Ruth Lubitsch in Monika Noltes und Robert Kriegs Film, der im Anschluss an eine Studiodiskussion über Palästina ausgestrahlt wird, zu leider viel zu später Stunde. Edda Tandler sieht die Dinge im Rückblick mit leichter Ironie: Als "unsozialistisch" habe es etwa gegolten, Kaffee zu trinken. Nachts habe man ihn heimlich unterm Bett gekocht. Doch dies sind nur die kleinen Geschichten, die den Dokumentarfilm zu einem spannenden Ausflug in die Vergangenheit machen – und die Fragen aufwerfen: Wie konnte es dazu kommen, dass jenes Volk ohne Land, einst durch die Nazis zu Opfern abgestempelt, sich selbst zum Herrschervolk und zur Besatzungsmacht entwickelte? Warum konnte es keinen Frieden zwischen eingewanderten Juden und Palästinensern geben?
Die Autoren haben Zeitzeugen befragt, deren Leben davon geprägt ist, dass sie sich für ein friedliches Zusammenleben von Juden und Arabern einsetzten und der linksgerichteten zionistischen Bewegung angehörten. Das Resultat ist ein analytisch klarsichtiger Report. Der Blick auf die Historie ist nicht verstellt von Machtinteressen, nicht gespickt mit der Rhetorik derer, die sich zur Siegermacht aufschwingen wollen.
Uri Avnery erklärt dies so: "Wir haben uns niemals von messianischen Gefühlen leiten lassen. Der Holocaust hat uns an Gottes Ratschluss zweifeln lassen." Die Zeitzeugen verdeutlichen jedoch auch, warum der so genannte Sechs-Tage-Krieg in eine 30 Jahre andauernde Okkupation und Erniedrigung von Arabern ausartete. Die Psychologie der israelischen Gesellschaft sei mehrheitlich über das eigene Gefühl des Opferdaseins definiert: "Wer sich permanent als Opfer wähnt, glaubt sich gefeit davor, rassistisch zu agieren."
Gitta Düperthal
taz, 22. März 2002