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Die Freunde des Präsidenten

Am 11. September 1973 putschte das chilenische Militär gegen die demokratisch gewählte Volksfront-Regierung Allendes. Ein chilenischer Funkamateur zeichnete den Funkverkehr der am Komplott beteiligten Offiziere auf. Vor wenigen Monaten sind diese geheimen Aufnahmen zum ersten Mal veröffentlicht worden:

General Pinochet: Verstanden. Noch eine Sache, Patricio. Heute morgen pünktlich um 11 Uhr muß die Moneda angegriffen werden, denn dieser Hund wird sich nicht ergeben.

Vizeadmiral Carvajal: Der Angriff läuft bereits. Sie ist umzingelt und wird angegriffen...und zwar ganz schön heftig. Deshalb, glaube ich, wird sie bald eingenommen sein.

Pinochet: Bedingungslose Aufgabe, keine Verhandlungen, bedingungslose Aufgabe!

Carvajal: Gut, verstanden. Bedingungslose Aufgabe. Und wenn wir ihn gefangennehmen, wird ihm nichts mehr als das Leben angeboten, sagen wir.

Pinochet: Das Leben und seine....seine körperliche Unversehrtheit. Danach werden wir ihn auf irgendeine andere Weise erledigen.

Carvajal: Verstanden. Vielleicht... es bleibt das Angebot, daß er das Land verlassen kann.

Pinochet: Das Angebot, das Land zu verlassen, bleibt, aber...das Flugzeug wird abstürzen, Alter, wenn sie damit losfliegen.


Die unvermutete Verhaftung Pinochets in Europa und die Möglichkeit, ihn als Mörder und Urheber staatsterroristischer Umtriebe vor Gericht zu stellen, hat in Chile heftige Reaktionen ausgelöst. Auf der einen Seite gibt es Genugtuung darüber, daß der Ex-Diktator nun doch noch zur Rechenschaft gezogen werden soll, auf der anderen Seite protestieren die Anhänger Pinochets, die damit drohen, daß seine mögliche Verurteilung den Fortbestand der chilenischen Demokratie gefährden wird. Schon kursieren schwarze Listen, und wieder erhalten Leute Morddrohungen, die der sozialistischen und kommunistischen Partei nahestehen oder sich aktiv für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen.

Was passiert in Chile, dem Musterschüler des Internationalen Währungsfonds, das wie kein anderes lateinamerikanisches Land pünktlich seine Auslandsschulden begleicht und seit zwei Regierungsperioden von einer demokratisch gewählten Mitte-Links-Koalition regiert wird? Plötzlich wird deutlich, daß die noch junge chilenische Demokratie auf einer Diktatur errichtet worden ist und die zivile Entwicklung des Landes von der Gnade der ehemaligen Machthaber abhängt, die bis heute wichtige Ämter in Staat und Militär bekleiden und sich der richterlichen Verfolgung durch ein eigenes Amnestiegesetz entzogen haben.

"Es mußte Krieg geführt werden, das war das einzige Mittel, das Land vor seinem Untergang zu bewahren", rechtfertigen die einen den Putsch. "Sie haben der demokratischen Verfassung und dem Volk den Krieg erklärt", sagen die anderen, zu denen auch die Männer aus der persönliche Eskorte Allendes zählen, die bis zum Schluß an seiner Seite blieben, um mit ihm den Regierungssitz zu verteidigen. Sie waren Mitglieder der Grupo de Amigos Personales (GAP) – Gruppe der persönlichen Freunde -, der zum Zeitpunkt des Putsches etwa 40 junge Leute angehörten. Ihnen galt der besondere Haß der Militärs. Wer nicht entkommen konnte, wurde in das berüchtigte Regiment Tacna gebracht und bestialisch gefoltert. Einige wurden mehr als 20 Jahre später in einem Massengrab gefunden, die anderen gehören zu den Verschwundenen der Pinochet-Diktatur.

Einige der Überlebenden sind in den letzten Jahren aus dem Exil nach Chile zurückgekehrt. Was bedeutet es, sich nach Jahren des vergeblichen Kampfes gegen die Militär-Junta für den friedlichen Weg zu entscheiden und mitzuhelfen, eine zivile Gesellschaft aufzubauen, obwohl der lange Schatten Pinochets nach wie vor über allen Geschicken des Landes liegt? Wo nimmt man die Kraft her, noch einmal ganz von vorn anzufangen und einen Platz zu suchen in einer Gesellschaft, durch die bis heute ein tiefer Bruch unversöhnlicher Gegensätze verläuft? Welche persönlichen Hoffnungen setzen sie auf die Redemokratisierung Chiles, das als neoliberales Erfolgsmodell gilt und zugleich ein Drittel seiner Bewohner unter der Armutsgrenze leben läßt?

Die Calle Santa Rosa führt durch einen der belebtesten Stadtteile von Santagio, in dem mit Autoersatzteilen gehandelt wird. Hier treffen wir Isidro Garcia und Manuel Patán, die gemeinsam eine Autowerkstatt auf einem unscheinbaren Hinterhof betreiben. Ebenfalls gekommen sind Juan Osses und Enrique Ramos. "Eine wirkliche Versöhnung des chilenischen Volkes kann es nur geben, wenn das Schicksal der Getöteten und Verschwundenen aufgeklärt wird und die Verantwortung dafür übernommen wird", sagen sie. Sie gehen in die Schulen, um mit den Jugendlichen über die Vergangenheit und Zukunft des Landes zu sprechen. Und immer mehr Jugendliche beginnen Fragen zu stellen, die ihnen ihre Eltern unter dem Druck des Schweigens nicht beantwortet haben.

Die Erinnerung an den 11. September 1973 ist für die vier vor allem die Erinnerung an den Tod. Juan Osses kämpfte bis zum Schluß in der brennenden Moneda, dennoch gelang ihm die Flucht in die DDR, wo er Sport studierte. 1983 kehrte er illegal nach Chile zurück und gründete ein militärisches Ausbildungslager. Er flog auf, und mit ihm wurden mehr als 10 junge Männer verhaftet, von denen einer unter der Folter starb. Als Juan aus dem Gefängnis herauskam, mußte er erkennen, daß die bewaffneten Aktionen, die zum Sturz Pinochets führen sollten, gescheitert waren: " Die Revolution, das war eine Illusion. Es war das erste Mal, das ich in ein richtig tiefes Loch fiel. Ich fing an zu akzeptieren, daß ich alles neu durchdenken mußte." Kürzlich hat er einen seiner früheren Folterer in einem vorbeifahrenden Auto erkannt. Was hält dieser Offizier von der Verhaftung Pinochets? Hat er etwas zu befürchten, oder fühlt er sich sicher?

Enrique Ramos, ein ausgebildeter Schreiner, versucht seit seiner Rückkehr das Schicksal seines Bruders aufzuklären. Er war der Mann aus der Eskorte, der den Rücken des Präsidenten deckte. Ausgerechnet der 11. September war Enriques erster freier Tag seit langem. Als er von der Bombardierung der Moneda hörte, machte er sich sofort auf den Weg. Einige ausländische Journalisten, die ihn in der Nähe des Palastes erkannten, konnten ihn nur mit großer Mühe daran hindern, in den sicheren Tod zu gehen. Sein Bruder hatte kein Glück. Er kämpfte an der Seite Juans in der Moneda und zählt bis heute zu den Verschwundenen. Wochenlang verhörten die Verfolger die Familie nach dem Verbleib von Enrique und bedrohten die Mutter. Was denken diese Männer heute? Sind sie immer noch davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben?

Manuel besaß eine kleine Autowerkstatt, als er den Auftrag annahm, die Wagen des Präsidenten fahrbereit zu halten. Mit Hilfe seines Schwiegervaters, eines Offiziers, konnte er untertauchen und später nach Kuba entkommen. Sein oberstes Ziel war der Sturz der Militärjunta, und das war nur militärisch zu erreichen. Er ließ sich in der kubanischen Armee zum Offizier ausbilden. Bei zwei illegalen Aufenthalten in Chile während der 80er Jahre wurde ihm bewußt, daß ein Volksaufstand gegen die Diktatur nicht mehr durchführbar war. Als sich mit der ersten gewählten Regierung eine Demokratisierung Chiles abzeichnete, kehrte er mit seiner Familie nach Chile zurück. Er arbeitet wieder als Autoschlosser und seine Frau Odette hat eine Anstellung bei der Stadtverwaltung gefunden. Sie erinnert sich genau an die Verhöre durch einen Geheimdienstoffizier, der ihren Vater kannte. Was sagt dieser Mann heute, gefragt, ob die Menschenrechtsverletzungen nicht geahndet werden müssen?

Manuel und Odette sind ihren politischen Idealen treu geblieben. Sie versuchen Einfluß auf Parteifreunde aus der regierenden sozialistischen Partei zu nehmen, die nur halbherzig ihre Forderung nach restloser Aufklärung der Vergangenheit teilen und mit Mißtrauen die Aktivitäten der ehemaligen GAP beobachten. "Wir müssen mitansehen, wie sich das Vergessen breitmacht. Das wollen wir nicht zulassen. Deshalb sind wir bereit, an die Öffentlichkeit zu gehen, damit sich die Menschen erinnern, was damals geschehen ist. Keiner von uns sollte mit dem Leben davon- kommen, mit uns sollte die Erinnerung verschwinden. Aber wir leben, also haben wir auch eine Verpflichtung", sagt Manuel.

Isidro, der persönlicher Fahrer von Allende war, ging mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern nach Frankreich ins Exil. Er lebte aus dem Koffer, immer bereit für seinen Einsatz gegen die Militärdiktatur. Das endgültige Aus für einen Volksaufstand hat auch sein Leben vollständig umgekrempelt. Ohne einen Pfennig ist er nach Chile zurückgekehrt, seine Frau und seine mittlerweile erwachsenen Kinder sind in Frankreich geblieben. Inzwischen ist die Garage in der Calle Santa Rosa so etwas wie der informelle Treffpunkt der Überlebenden der GAP geworden. Isidro ist der offizielle Sprecher der Gruppe. Während wir uns unterhalten, turnt sein dreijähriger Sohn aus einer neuen Beziehung auf ihm herum.

Die Männer lachen bei der Frage nach den Motiven ihres Engagements. "Ganz einfach. Wir glaubten an Allende", sagt Isidro. "Er war unser Präsident, der erste, der wirklich die chilenische Gesellschaft ändern wollte. Wir kommen alle aus den Poblaciones, den Arbeitervierteln Santiagos. Wir hatten nie etwas, keine Bildung, keine Rechte, keine Chancen. Allende war der erste, der sich wirklich für unsere Interessen einsetzte. Klar wußten wir, daß wir sterben könnten, aber das war kein Thema." Die Überlebenden der GAP sind sich einig, daß die Utopie der Allende-Ära, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, keineswegs auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, sondern noch nie so aktuell war wie im Chile von heute.

Die vier Männer der GAP haben ihr Schweigen aufgegeben, ungeachtet der Hindernisse und Gefährdungen, die sich ihnen – den ehemaligen "Terroristen" – tagtäglich in den Weg stellen. Unsere Kamera beobachtet sie in ihrem Alltag. Wir konfrontieren ihre Überzeugungen mit den Aussagen ihrer ehemaligen Verfolger. Dabei entsteht ein faszinierendes Zeitdokument über eine Gruppe von Menschen, die sich als die eigentlichen Verteidiger der demokratischen Verfassung Chiles verstehen.

Robert Krieg, Gabriele Wojtiniak

WORLD TV, Köln, November 1998
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