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Kurze Freiheit für die Siedlung Beit Sahour

Nur einen Tag nach der Aufhebung einer siebenwöchigen Blockade hat die israelische Armee am Donnerstag den Ort Beit Sahour in der besetzten Westbank zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Damit ist auch Journalisten der Zugang zu dem 12.000-Seelen-Städtchen verwehrt. Die Zufahrtsstraßen wurden verbarrikadiert und die Telefone abgestellt. Mit der Belagerung wollten die Besatzungsbehörden einen Steuerstreik der Bevölkerung brechen. Verteidigungsminister Jizchak Rabin hatte damit gedroht, die Blockade notfalls über Monate hinweg aufrechtzuerhalten.

Der Bürgermeister von Beil Sahour, Hanna Al Atrash, schätzt den Wert der in den letzten Wochen von der Armee beschlagnahmten Güter auf acht Millionen Dollar, israelische Quellen sprechen von drei Millionen Schekel (gleich D-Mark). Atrashs Angaben zufolge wurden die Konten von rund 500 Personen mit insgesamt 600.000 Dollar ebenso beschlagnahmt wie private Besitzgüter von 200 Personen. Unter anderem seien 82 Autos konfisziert worden. Vierzig Bürger Beit Sahours wurden festgenommen und sind noch in Haft. Zehn wurden zu Gefängnisstrafen zwischen sechs und zehn Monaten und einer Geldstrafe in Höhe von 3.000 Dollar verurteilt. Die Betroffenen weigern sich jedoch, die Summe zu entrichten.

Der Steuerboykott in dem überwiegend christlichen Beit Sahour läuft bereits seit anderthalb Jahren. Er ist Teil einer Kampagne des zivilen Ungehorsams im Rahmen der lntifada, des Palästinenseraufstands in den besetzten Gebieten. Die Untergrundführung der Intifada hat in einer Erklärung jedwede Verhandlungen mit den Behörden über einen Kompromiß im Steuerstreik abgelehnt. In der Warnung an die Adresse des Stadtrats von Beit Sahour heißt es ausdrücklich: Steuerwiderstand ist eine nationale Position, von der es absolut keinen Rückzieher geben kann. "Wir werden nicht zulassen, daß unsere Opfer vergeblich waren." Die Wortwahl des Aufrufs legt nahe, daß es sich dabei um eine lokale Initiative der Bevölkerung von Beit Sahour handelt, gegen einige kompromißwillige Honoratioren.

Vor der neuerlichen Absperrung des Ortes besuchte am Mittwoch eine Gruppe palästinensischer Abgeordneter des israelischen Parlaments Beit Sahour. Sie gaben bekannt, daß das Komitee der arabischen Ortsräte in Israel eine Spendenkampagne für die Bürger starten wolle, deren Eigentum beschlagnahmt wurde. Über hundert Frauen aus dem Ort nutzen den Tag, um in der Geburtskirche des benachbarten Bethlehem ein Sit-In abzuhalten. Einen "Siegesmarsch" in Beit Sahour trieben die Soldaten unter Tränengaseinsatz auseinander.

Amos Wollin (Tel Aviv)

die tageszeitung, 3. November 1989
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