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Zwei persönliche Anmerkungen

I.

"Ohne die Hilfe der Bevölkerung in der Westbank hätte dieser Film nicht entstehen können" – ein fast schon beiläufig klingender Satz im Abspann des Films. Hinter diesen dürren Worten verbergen sich mehr als die Bereitschaft zur Mitarbeit, die traditionelle arabische Gastfreundschaft und die besonders unter Palästinensern/innen ausgeprägte Offenheit für interkulturelle Begegnungen.

Dieses Volk praktiziert seit vielen Monaten die Intifada, das "Abschütteln" der israelischen Militärherrschaft, jedes Wort, jeder Hinweis, jede kleine Hilfsbereitschaft kann Verhaftung, Knochen-brüche oder Verhörlager bedeuten. Wir haben uns während der Dreharbeiten oft gefragt, ob wir nicht zu weit gegangen sind und die Menschen einer unmittelbaren Gefahr aussetzen. Aber es war immer ihre Entscheidung in klarer Abwägung der persönlichen Gefährdung. Ich werde niemals den Zynismus der Bemerkung eines israelischen Offiziers vergessen, "die ganze Initifada sei eine großartige Inszenierung für uns, die westlichen Medien", wo doch jeder Steinwurf den Tod bedeuten kann und auch bedeutet, wie der Presse tagtäglich zu entnehmen ist!

II.

Ich saß auf der Dachterrasse des Hauses eines alten jüdischen Freundes in Tel Aviv. Längs des glitzernden Strandes kamen aus dem Norden fünf Kampfhubschrauber vorübergeflogen und verschwanden südwärts im Abendlicht. Mein Freund blickte von seinen Papieren kaum auf. "Die kommen von einem Einsatz im Libanon zurück. Schau Dir die Abendnachrichten an, dann wirst Du sehen, daß ich recht habe!" Er hatte recht. Keine 150 km nördlich, keine 90 km südlich und keine 70 km östlich tobt Krieg, Tod, Verzweiflung. Nichts davon bleibt spürbar in dem pulsierenden Leben auf den Straßen und Plätzen Tel Avivs. Ja, selbst im Westteil Jerusalems geht alle Welt seinen Alltagsgeschäften nach, als hätte es die Intifada nie gegeben. Die Intifada findet nur im Fernsehen statt, eine andere Wirklichkeit, der sinnlichen Wahrnehmung entrückt und doch greifbar nah.

Mein jüdischer Freund beschäftigt sich schon lange mit der Frage, weshalb so wenige Israelis 'hinschauen', weshalb sie sich möglichst nichts zur Intifada überlegen wollen. "Soziologen könnten hier gut beobachten, wie diese Mechanismen funktionieren, die auch andernorts zum 'nicht wissen wollen' führten und führen", schreibt er mir. Und zitiert weiter einen israelischen Kriminologen (Prof. Stanley Cohen, Universität Jerusalem): "Liberale, Intellektuelle, Demokraten sind Produzenten und Konsumenten einer geschlossenen, sich selbst feiernden Kultur geworden, die die Menschen von der Realität fernhält. Sie stellen sich die Rechtsordnung und die zivilen Freiheiten als Prinzipien vor, die schon immer die israelische Gesellschaft geprägt haben, anstatt zu sehen, was sie wirklich sind: zerbrechliche Ziele, fremd für die Lebenslüge im Herzen der liberalen israelischen Kultur: die Selbsttäuschung, daß das, was man wirklich glaubt, tatsächlich auch existiert." Ich habe diesem Urteil nichts hinzuzufügen.

Robert Krieg

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