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Brief aus Cuba

1992 realisierte der Filmemacher Robert Krieg einen essayistischen Dokumentarfilm über die heutige Situation Cubas. In einer sehr persönlichen Form zeigt Krieg verschiedene Stationen einer Reise auf der Suche nach einer verloren gegangenen Utopie.

Der leise, ruhige und nachdenkliche Film läßt dem Betrachter Zeit, sich von Stimmungen und Atmosphären einfangen zu lassen und über Cuba nachzudenken. Die Idee zu diesem Film entstand spontan während eines Dokumentarfilm-Seminares, das Robert Krieg an der Film -und Fernsehschule der Drei Welten (EICTV) in San Antonio de los Baños in der Nähe von Havanna leitete. Gedreht wurde der Film im Frühjahr 1992 mit einem internationalen Team aus Cuba, Ghana, Burkina Faso, Panama und den Niederlanden, beteiligt waren StudentInnen der Filmschule, von der wichtige Anregungen für die Diskussion im cubanischen und Iateinamerikanischen Kino ausgingen.

Der niederländische Kameramann Bert Oosterveld fängt in stimmungsvollen Bildern die Atmosphäre Cubas ein. Impressionen von Havanna, San Antonio de Los Baños – einer Kleinstadt, dem Leben auf dem Land und der cubanischen Landschaft. Bilder aus dem cubanischen Alltag (von Arbeit und Freizeit): Menschen promenieren auf der Uferstraße, dem Malecon, Hafenbilder – kleine Fährschiffe voll mit Personen und Fahrrädern, Impressionen aus der Altstadt, wo sich Hemmingway einen Darquiri oder einen Mojito genehmigte. Bilder von der Arbeit: in einer Tabak-Fabrik rollen rauchende Frauen kunstreich Zigarren mit der Hand oder von der Tomatenernte, Dreharbeiten von FilmstudentInnen, die einen Spielfilm über die erste Liebe verwirklichen; Recycling von Einwegfeuerzeugen, welche in unserer Weg-Werf-Gesellschaft auf dem Müll landen. Bilder des alltäglichen Lebens. Warten – Fahrradfahrer, spielende Kinder, Jugendliche, die Basebal spielen; Feierabendstimmung – Menschen sitzen vor ihren Häuser, reden, grüßen. Nachbarschaft. Straßenbilder, Trittbrett-Fahren in überfüllten Bussen. Zugfahrt durch Felder.

Aus der Sicht eines Betrachters: "Auf der Suche nach einem glücklichen Kuba: Dieser Film ist für mich wie der verzweifelte Versuch eines Liebenden, der Welt in schönen und nachdenklichen Bildern zu zeigen, daß seine Liebe zu diesem Land unangreifbar ist, trotz der sichtbaren Zersetzungserscheinungen am Lebensraum und Mythos 'Kubas'. Die Frage, ob die Liebe zu Kuba und seinen Menschen blind machen kann, taucht für mich nur ganz am Rande in diesem Film auf. Es ist ein liebenswertes Bemühen, auch eine hoffnungslos erscheinende Liebe lebendig zu erhalten. Er versucht einen unverstellten Blick in dies Leben zu vermitteln, eine freie Sicht für die Gegenwart zu schaffen und in der alten schmerzhaften Liebe eine neue zu entdecken, in Kubas unsterblichen Figuren." (*)

Der Film enthält viele Elemente der persönlichen Erinnerung. Filmische Erinnerung an Ivens und Marker. Robert Krieg verwendet Ausschnitte aus "Cuba Si" des französischen Dokumentaristen Chris Marker von 1961 (einem poetischen Reisebericht über Kuba, China, Sibirien und Israel) und aus "Carnet de viaje, Cubanisches Reisetagebuch" des niederländischen Film-Poeten Joris Ivens von 1960-61 (die persönliche Begegnung Ivens mit Cuba, seinen Menschen, seiner Landschaft und seinen neuen gesellschaftlichen Aufgaben nach dem gelungenen Sturz der Batista-Diktatur) und setzt sie in Bezug zur heutigen Realität und zu seiner Arbeit. Den Schwerpunkt seiner Arbeit legt Robert Krieg ähnlich wie Ivens auf die Ausbildung junger FilmspezialistInnen. Anfang dieses Jahres bildete er in Jerusalem palästinensische StudentInnen zu TV-Journalisten aus.

"Erinnerungen? Der Betrachter des 'Briefes' erhält den Eindruck einer 'Zwischenzeit', nicht mehr dort und noch nicht da. Entfernung und manchmal traumwandlerische Nähe." (**)

Die Kamerafahrt am Platz der Revolution und auf dem Friedhof Cristobal Colón, in der Nähe des Platzes der Revolution, wird mit dem Musikstück "Tierra dura" der cubanischen Gruppe Los Van Van unterlegt. Ich lausche der Musik: "... harte Erde vergibt nicht, harte Erde von der Sonne ausgedörrt und mißhandelt... harte Erde vergibt nicht. Ich weiß, dass es immer Hoffnung gibt, und deine Liebe verläßt mich." Wörtlich bedeutet "van" – "sie gehen". Als Anfang der 70er Jahre sich die Gruppe gründete, war dieser Ausdruck in Cuba sehr in Mode. Er drückte eine allgemeine Stimmung aus: "es muß gehen". Die Fahrt vom Friedhof erinnert mich an Tomás Gutiérrez Aleas Spielfilm-Komödie "La muerte de un burócrata, Der Tod eines Bürokraten" (Cuba, 1966), die auf einem Friedhof spielt und die cubanische Bürokratie satirisch auf's Korn nimmt. Erinnerungen sind wichtig, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu planen. In dem Dokumentarfilm "El cine y la memoria, Das Kino und die Erinnerung" (Cuba, 1992) zeigt Jorge Luis Sánchez die Erinnerung und Reflektion des cubanischen Tomás Gutíerrez Aleas über seinen Film "Memorias del Subdesarollo, Erinnerungen an die Unterentwicklung" (1968).

Der Film zeigt Bilder und Szenen aus den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen Cubas. Aus der Überzeugung heraus, daß man für Cuba sein kann, "ohne zu lügen oder etwas zu verbergen", zeigt er Widersprüche und die Anstrengung der Menschen, "zwischen den revolutionären Idealen und den Unzugänglichkeiten des Alltags zu leben."

Vor allem widmet er sich den Jugendlichen, den Trägern der zukünftigen Gesellschaft. Die ältere Generation läßt er jedoch nicht außen vor: wie Nene und seine Frau, welche die Revolution noch erlebt und mitgetragen haben. Er fragt sich, "ob die junge Generation Kubas, die wie in kaum einem anderen Land der Welt gefördert wird, sich aus Politik zurückgezogen hat oder aber die herrschende Politik sie sprachlos gemacht hat." Die cubanischen Jugendlichen sind auf der Suche nach einer neuen Sprache. Leider werden die Sehnsüchte und Wünsche der Jugendlichen nicht erläutert.

"Carta de Cuba" setzt sich kritisch mit den herrschenden politischen Kräften auseinander und bemängelt, daß "die politische Macht nicht mehr die lebendige Auseinandersetzung im Gespräch pflegt, aus der sie einst ihre Legitimation bezogen hat." Er fragt nach den negativen sozio-kulturellen Folgen des Tourismus, der ein Zwei-Klassen-System hervorgebracht hat, und nach den psycho-sozialen Folgen für die CubanerInnen. "Wie läßt es sich ertragen, in einer Mangelwirtschaft zu leben und gleichzeitig stillschweigend zu akzeptieren, daß Ausländern und Touristen alle Türen offen stehen zum zügellosen Konsum?"

Krieg plädiert ähnlich wie Günter Grass bei seinem Cuba-Aufenthalt im Februar dieses Jahres (Günter Grass: "Erst die Aufhebung der Blockade wird den Weg frei machen für Reformen in Richtung eines demokratischen Sozialismus." (***)) für eine Öffnung von unten, für Basisdemokratie. In seinem Resümee vertraut er auf das Besinnen auf die eigenen Fähigkeiten und den natürlichen Reichtum der Insel. "So, wie die eigenen Hände gebraucht werden, um den Alltag zu bewältigen, so müssen sie wieder eingreifen in die Politik. Anstatt das Land von oben umzukrempeln, muß sich die politische Macht für eine breite Diskussion von unten öffnen. In der ohne Tabus auch oppositionelle Gedanken zur Sprache kommen. In der nicht jeder Widerspruch als mögliche Verschwörung interpretiert wird, sondern als einfacher Beweis dafür, daß das Leben lebendig ist."

(*) Franjo Hülk, Zuschauerkritik bei der Premiere in Münster, Filmfestival Filmzwerge 1992

(**) Christine Kort, Entfernung und Nähe, in: Katalog des Dokumentarfilmfstivals Leipzig 1992, S.12

(***) zitiert nach Alexander Gschwind, in: Frankfurter Rundschau, Amerika muß seine Kuba-Blockade aufheben, 24.3.1993

Volker Pade

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