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Interview mit Uri Avnery

Ich möchte Sie fragen, wo und wann Sie geboren sind, und was Ihre Eltern gemacht haben, in welchen Verhältnissen Sie aufgewachsen sind. Ich weiß, Sie sind sehr früh und sehr jung nach Palästina gegangen, aber diese ersten Jahre, die Sie in Deutschland verlebt haben, interessieren mich.

Ich bin 1923, während der Inflation, in Beckum in Westfalen geboren, im Münsterland, aber meine Eltern sind von dort nach Hannover gezogen, als ich ein Jahr alt war, und ich bin in Hannover bis zu meinem 10. Geburtstag aufgewachsen. Ich habe noch die halbe Sexta im 3. Reich erlebt, die ersten Monate der Nazizeit. Und direkt nach der sogenannten Machtübernahme hat mein Vater beschlossen, nach Palästina auszuwandern. Wir sind dann vor Ende '33 hierhergekommen. Wir kommen aus einer alten deutschen Familie, deutsch-jüdischen Familie, mein Vater war immer Zionist, von Jugend auf. Und darum war es ihm vielleicht etwas leichter, als für viele andere, so früh zu beschließen, das Land für immer zu verlassen. Mein Vater, meine ganze Familie, hat eine sogenannte humanistische Erziehung genossen, Lateinisch und Alt-Griechisch, und mein Vater hat sich immer eingebildet, daß unsere Familie eigentlich aus Karthago kommt, und mit Julius Cäsar ins Land – nach Deutschland – gekommen ist. Wir kommen scheinbar ursprünglich aus dem Rheingebiet. Ich bin viereinhalb Jahre in Deutschland zur Schule gegangen. Ich habe viel Deutsch gelesen, auch später. Aber ich habe einen Strich unter diese Vergangenheit gesetzt, als ich nach Palästina gekommen bin, und seitdem fühle ich mich als Hebräer, Palästinenser, Israeli, wie man es nennen will.

Hatten Sie in dieser kurzen Jugend in Deutschland, oder dieser kurzen Kindheit, muß man ja sagen, hatten Sie da schon Kontakte zu einer zionistischen Jugendorganisation ?

Ja.

Und wurden Sie trotz Ihrer Jugend und trotz Ihres jungen Alters schon ein bißchen vorbereitet auf die Fahrt nach Palästina?

Absolut, ja. Wie gesagt, mein Vater war Zionist von Jugend auf. Ich bin mit, ich glaube, acht, neun Jahren, zur zionistischen Jugendbewegung gekommen, die hießen "Werkleute", das heißt, wir hatten eine Uniform und wir hatten Wimpel und wir haben eine Ausbildung gemacht. Wir trugen eine Uniform von vielen, denn alle Deutschen hatten zu der Zeit ja Uniformen an. Wir haben Ausflüge gemacht am Sonntag. Ich erinnere mich, daß wir die Hitlerjugend getroffen haben auf allen möglichen Wegen, und das war so üblich in Deutschland und 1932. Überhaupt, was ich in Erinnerung habe aus Deutschland ist, daß alle Menschen Uniformen trugen zu der Zeit. Hunderttausende, jede Partei hatte eine Privatarmee mit Hunderttausenden von Mitgliedern, Nazis, Stahlhelme, Sozialdemokraten, Kommunisten, alles. War eine uniformierte Zeit. Die Jugendbewegung hat uns irgendwie vorbereitet, palästinensische Folklore, Nationalhelden, jüdische Geschichte. Hebräisch konnte ich natürlich nicht. Ich habe so gut wie kein Wort Hebräisch gekonnt, als ich hier nach Palästina gekommen bin, aber es war doch eine idealistische Vorbereitung für Palästina. Wir haben uns darauf gefreut, ich erinnere mich, die letzten Monate vor unserer Ausreise, waren wir schon ganz begeistert für das neue Land. Alles war neu, alles war schön, alles war frisch und war ein großes – für ein Kind war es ein großes Erlebnis.

Ich frage mich sehr oft, was es für unsere Eltern war. Man muß das direkt bewundern heute, denn wir kamen aus einer wohlhabenden deutschen jüdischen Familie, die ersten 10 Jahre waren wir sehr wohlhabend, wir hatten ein Haus gehabt in einem schönen Vorort von Hannover, Waldhausen, wir hatten alles. Und als wir nach Palästina gekommen sind, sind wir innerhalb von ein paar Monaten so arm geworden, wie man überhaupt nur sein kann. Ich habe die Volksschule nie absolviert, weil ich arbeiten mußte, um Geld zu verdienen. Wir waren furchtbar arm. Und seitdem habe ich eine große Achtung vor Geld, denn ich glaube, als wir sehr, sehr arm in Palästina waren, im damaligen Palästina, waren meine Eltern glücklicher als sie in Deutschland reich waren. Aber wenn man bedenkt, daß meine Eltern – mein Vater war damals bei unserer Ausreise 45 Jahre alt, mit vier Kindern, meine Mutter ungefähr 40 – von einer Kultur in eine andere, von einem Land in ein anderes, von einem Klima in ein anderes, von einer sozialen Schicht in eine andere, einer Sprache in eine andere kamen und wie die gelernt haben, das war eine ungeheure Revolution im persönlichen Leben. Und man muß die Leute bewundern, die das überstanden haben. Mein Vater, meine Mutter, beide, die in ihrem Leben in Deutschland nie physisch gearbeitet haben, haben hier im Lande zwölf Stunden am Tag geschuftet, physisch. Und im großen und ganzen waren sie glücklich dabei. Sie waren froh, hierher gekommen zu sein. Nachdem das alles dann später, die Situation in Deutschland, dann schlimmer und schlimmer wurde, hatten die nie den Gedanken gehabt, jemals zurückzublicken.

Für uns Kinder war das überhaupt kein Problem. In dem Augenblick, wo wir hergekommen sind, haben wir uns total mit diesem Land und mit diesem Volk identifiziert. Wir haben hier eine andere Sprache gesprochen als Hebräisch, was dazu geführt hat, daß wir Kinder, Jungens und Mädchen, sehr ungern mit unseren Eltern spazieren gingen auf der Straße, denn mit unseren Eltern mußten wir Deutsch sprechen, und man sprach nicht gerne öffentlich Deutsch, irgendeine andere Sprache außer Hebräisch. Das ist ein Problem bei jeder Immigration. Eine Immigration erzeugt immer eine Kluft zwischen den Generationen, zwischen Eltern und Kindern. Eltern verlieren ihre Autorität. Die Kinder übersetzen für die Eltern, statt umgedreht. Offizielle Korrespondenz, Rechnungen, was weiß ich, Meinungen und so weiter.

Sie sagten gerade: Für Sie war das toll, wahrscheinlich auch wie ein Abenteuer, als Sie hierher gekommen sind.

Für uns war das absolut toll.

Aber haben Sie vielleicht doch noch eine konkrete Erinnerung an die Abreise, oder sind Sie nicht ein wenig traurig gewesen, vielleicht Freundschaften zu verlieren?

Überhaupt nicht. Wir sind sehr plötzlich abgereist. Mein Vater ist denunziert worden, meine beiden Schwestern waren schon vorher in Frankreich. Mein Vater und mein älterer Bruder, der später im Weltkrieg gefallen ist, sind in der Nacht über die Grenze gegangen. Ich bin mit meiner Mutter ein paar Tage später über die Grenze gegangen. Das war ein Erlebnis, weil wir bis zum letzten Augenblick besorgt waren, vielleicht doch verhaftet zu werden. Es ging aber alles glücklich da rüber. Von da an, ich erinnere mich noch, das ist eine sehr starke Erinnerung, als wir mitten in der Nacht an der Grenze im Eisenbahnzug ankamen und bei Kehl, ein kleiner Ort, über die Grenze nach Frankreich gingen, nach Straßburg, das war eine unglaubliche Erleichterung. Und Frankreich war für uns direkt das Paradies der Freiheit. Und seitdem habe ich ein gewisses Sentiment für Frankreich behalten. Aber wir sind sofort weitergefahren, ein paar Tage in Frankreich, und dann über Marseille nach Jaffa.

Wir sind hier in Jaffa ans Land gekommen, wie viele Menschen damals. Das war auch ein Erlebnis. Jedes Kind, was damals nach Palästina gekommen ist, erinnert sich genau an die Ankunft in Jaffa. In Jaffa gab es keinen richtigen Hafen. Das Schiff konnte nicht anlegen. Das Schiff ankerte im Meer, und dann kamen große arabische Boote mit stämmigen arabischen Bootsleuten. Das war das erste Mal im Leben, daß wir Araber gesehen haben. Alles große, dicke, starke Leute. Und mit diesen Booten fuhr man dann an Land. Meine Frau hat das noch sehr scharf in Erinnerung, meine Frau ist auch auf diesem Weg gekommen, war damals zwei Jahre alt und hat in Erinnerung, daß sie die Stufe runterkam auf dem Dampfer, und der arabische Bootsmann hat gesagt: "Werfen Sie das Kind her!" Und das Kind hat Angst gehabt. Frau Rabin*, auch damals im selben Jahr ins Land gekommen, aus Königsberg, erzählte mir, daß ihr Hut – sie hat einen Hut gehabt, und der Hut ist ins Wasser gefallen. Das einzige, was sie erinnerte, war, daß der Hut ins Wasser gefallen ist. Das sind alles starke Erinnerungen, die jeder hatte, der damals ins Land gekommen ist mit dem Dampfer aus Marseille oder Triest.

Hier im Lande haben die Eltern beschlossen, meinen Bruder und mich in ein Dorf zu schicken zu Bauern, damit wir schnell Hebräisch lernen, und ich war ein halbes Jahr lang in Nahala, das war ein sehr berühmtes Dorf, das war das Dorf, in dem Moshe Dajan geboren ist. Und ein halbes Jahr waren wir in einer Bauernfamilie, haben nur Hebräisch gesprochen und haben dann sehr schnell Hebräisch gelernt. Dann sind wir von Haifa nach Teil Aviv gezogen, ich war in der Volksschule, und nach der 7. Klasse habe ich aufgehört zu lernen, seitdem habe ich nie wieder etwas gelernt. Und habe angefangen zu arbeiten mit 14 Jahren.

(* Frau des ermordeten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin, 1922-1995)

Bevor wir jetzt darauf kommen, wollte ich noch eine Frage stellen: Haben Sie irgendwann als Kind eine Situation erlebt, wo Sie es als bedrohlich in Deutschland empfunden haben, Jude zu sein? Gab es so etwas mal?

Ich habe Glück gehabt, denn ich habe eigentlich keine wirklichen antisemitischen Ausschreitungen erlebt. Hannover war überhaupt eine sehr ruhige Stadt, ich glaube, das ist sie heute noch. In Hannover waren auch die Nazis weniger rabiat. Ich habe eine Erinnerung als Kind, eine sehr starke Erinnerung. Ich ging auf der Straße mit meinen Eltern und uns kam so ein SA-Mann entgegen. Ich bin ihm hinterhergegangen und habe "Heil Hitler" gesagt, und der Nazi hat auch sehr stolz "Heil Hitler" gesagt, und meine Eltern waren empört und hatten auch Angst gehabt und so weiter. An was ich mich erinnern kann aus der Nazi-Zeit: In der Schule, ich war der einzige jüdische Junge in der ganzen Schule, das war ein Gymnasium, Kaiserin-August-Viktoria-Gymnasium, das gibt es nicht mehr. Ich war in derselben Klasse mit Rudolf Augstein in diesem Gymnasium. Ich war der einzige Jude und muß daher sehr aufgefallen sein, obwohl ich mir dessen nicht sehr bewußt war. Was ich in Erinnerung habe, ist, daß es so aussah, als ob jeder zweite Tag ein Feiertag gewesen wäre. Das ist wahrscheinlich stark übertrieben, aber das ist so mein Eindruck geblieben, und wenn Feiertag war, dann ging die ganze Schule in die Aula. Die Kinder saßen Klasse hinter Klasse in der Aula. Und da gab es sehr patriotische Reden. Wir sangen patriotischen Lieder, und am Ende das Deutschland-Lied und das Horst-Wessel-Lied. Das letzte Mal, ich weiß nicht, was das war, die Schlacht von Sedan, es waren immer Siege irgendwo, deutsche Siege, Deutschlands in der Geschichte, oder Horst-Wessel-Tag oder Schlageter-Tag oder solche Nazi-Feiertage. Da standen alle Kinder auf und erhoben den Arm und sangen die beiden Hymnen. Und ich habe die Hand nicht erhoben und auch nicht mitgesungen. Und da haben mich einige meiner Klassenkameraden bedroht: Wenn das noch mal passiert, dann werden sie mich verprügeln. Aber das war schon das Ende. Eigentlich wirkliche antisemitische Ausschreitungen habe ich nicht erlebt, eben, weil wir zur rechten Zeit weggekommen sind.

Sie haben die Volksschule zu Ende gemacht, und was waren dann Ihre ersten beruflichen Schritte? Wie haben Sie angefangen, sich hier Ihren Lebensweg aufzubauen, hier in Palästina?

Ich habe gearbeitet von meinem 14. Lebensjahr an. Seitdem habe ich meinen Unterhalt immer selbst verdient. Ich war bei einem Rechtsanwalt, ich war bei den Gerichten. Im Gegensatz zu der üblichen Sage, daß im damaligen Palästina Juden und Araber zusammengelebt haben, stimmte das Gegenteil: Es gab eine absolute Trennung zwischen Juden und Arabern, die haben sich nie getroffen. Tel Aviv war jüdisch, Jaffa war arabisch, ich selbst wohnte in einem sehr armen Viertel direkt an der Grenze von Jaffa, die eine Seite der Straße war Jaffa, die andere Seite Tel Aviv. Ich wohnte auf der Seite von Jaffa. Ein Teil der Gerichte und anderer Behörden war in Jaffa, englische Behörden natürlich, und darum war ich als Angestellter bei einem Rechtsanwalt so ein, zweimal in der Woche in Jaffa, was für Juden überhaupt sehr selten war. Und man fragt mich immer, wie sind Sie überhaupt zu Ihren Ideen gekommen. Vielleicht hat das damit zu tun, daß ich schon als Junge mit 14, 15 die arabische Umgebung in Jaffa sehr gut gekannt habe, arabische Kollegen gekannt habe, keine Freundschaften oder so, aber doch sie gesehen habe, gekannt habe, in Jaffa rumgelaufen bin. Und da die arabische Kultur und arabische Umgebung mir vertraut waren, habe ich nie Angst oder Vorurteile dagegen gehabt. Ganz im Gegenteil, mir hat die arabische Sprache, arabische Kultur, immer sehr gut gefallen.

Aber ich bin dann sehr kurz danach, kurz nach meinem 15. Lebensjahr, in den Untergrund gegangen und natürlich, wenn man im Untergrund war, da war alles andere Nebensache, auch Arbeit, Familie. Der Untergrund hat das Leben erfüllt, und das war so ein dominanter Teil des Lebens, daß alles andere ziemlich unwichtig geworden ist. Ich war vier Jahre im Untergrund. Als ich in den Untergrund gegangen bin, da ging der Kampf noch hauptsächlich gegen die Engländer, gegen die englische Kolonialregierung hier. Ich habe Waffenlager bei mir zu Hause gehabt. Darauf stand Todesstrafe. Wir haben mit Pistolen geübt, wir haben alle möglichen Sachen verbrochen. Ich war in einer Jugendkompanie, das heißt, wir haben hauptsächlich Flugblätter verteilt, angeklebt und so weiter. Das war ein aufregendes Leben. Und ich bin dann ausgetreten, was sehr selten vorkam, weil mir die Politik dieser Untergrundbewegung Irgun nicht gefallen hat. Ihre Einstellung zu den Arabern und ihre Einstellung zur sozialistischen Arbeiterbewegung hier im Lande. Ich bin dann ausgetreten und habe mir so langsam einen eigenen politischen Weg gesucht.

Ich habe nach dem Weltkrieg und vor unserem Krieg, dem Krieg von 1948, eine neue Organisation gegründet und auch eine Zeitschrift herausgegeben, die zum ersten Mal in der Geschichte des Landes die Idee vertreten hat, daß diese beiden nationalen Bewegungen, die arabische-palästinensische und die hebräische, jüdische-hebräische, nicht Todfeinde sein müssen, sondern daß sie gemeinsam den Kampf für die Befreiung des Nahen Ostens und des Landes führen können, eine gemeinsame Zukunft aufbauen können. Das war damals total ketzerisch. Es war meine Fatah-Zeit, antizionistisch oder jedenfalls nicht zionistisch. Ich habe noch kurz vor dem Krieg eine Broschüre veröffentlicht mit dem Titel "Krieg oder Frieden in der semitischen Region". Wir haben einen kleinen Auszug davon ins Arabische übersetzt und an arabische Zeitungen verschickt. Das war ein, zwei Monate vor dem Krieg. Dann brach der Krieg aus. Ich habe mich gemeldet und bin bei meiner Kommandotruppe kurz vor Ende des Krieges schwer verwundet worden, und so traten wir in den Staat Israel ein.

Was ich als meinen persönlichen Beitrag zur Friedensbewegung betrachte, ist diese Idee, daß ein Friede zwischen uns und den Palästinensern nicht antinational ist, sondern national, daß zwei Nationen und zwei nationale Bewegungen ihre Bemühungen kombinieren können, um eine neue Zukunft in dieser Region aufzubauen. Ich habe sie nie Nahen Osten oder Mittleren Osten genannt, weil die Frage ist immer: Osten von wo aus gesehen? Östlich von Deutschland, östlich von England, von Frankreich? Das ist eine reine koloniale Beschreibung. Ich habe diesen Terminus erfunden "semitische Region". Semitisch, weil die semitische Sprache, semitische Kultur, semitische Vergangenheit eigentlich das einzige ist, was gemeinsam ist. Statt zu sagen "arabisch", "hebräisch" oder "palästinensisch, israelisch später". Semitisch umschließt beide Völker und beide Kulturen und beide Sprachen. Und darum nannte ich das semitische Region, um das Gemeinsame dieser beiden Völker zu betonen. Ich bin hier in Israel seit dem Krieg von 1948 für einen palästinensischen Staat eingetreten. Für mich war das selbstverständlich und natürlich, weil ich total überzeugt war und auch heute bin, daß der Nationalismus die stärkste Kraft im 20. Jahrhundert ist und wahrscheinlich auch im 21. Jahrhundert sein wird. Und daß keine Idee und kein Plan und keine Vision irgendeine Chance hat, sich durchzusetzen, wenn es dem Nationalismus widerspricht. Und daher – wenn auch nach dem Krieg von 1948 sich beinahe alle Israelis mit Ben Gurion an der Spitze eingebildet haben, daß die Palästinenser aufhören werden zu existieren oder ihre Nation aufgeben werden – war es mir immer selbstverständlich, daß die Palästinenser eine Nation sind und sein werden, daß es die nationale Bewegung der Palästinenser gibt und sie nicht ignoriert werden kann, und daß wir daher eine Lösung finden müssen, die den Nationalismus, unseren eigenen Nationalismus und den palästinensischen Nationalismus, integriert. Das ist im Grund die Idee, die ich seit 1948 vertrete. Am Anfang war sie total verrückt.

Wann sind Sie zum ersten Mal und auf welche Weise mit sozialistischem Gedankengut vertraut worden oder konfrontiert worden? Und wie haben Sie über den Kibbuz gedacht, über die ganze Kibbuz-Bewegung?

Dieses Land war sozialistisch. Als wir ins Land kamen, 1933, war es ein sozialistisches Land. Alles was schön, alles, was wichtig war im Lande, war sozialistisch. Der Kibbuz, der Moshaw*, die Histadrut** und praktisch alle Einrichtungen. Der Staat Israel ist entstanden, lange bevor er offiziell ausgerufen worden ist 1948. Er bestand ja immer. Ich würde sagen, seit den 20er Jahren mindestens. Es war ein Staat im Staate, und er war sozialistisch. Die Religion war so gut wie im Aussterben. Wir dachten uns immer, die Religion stirbt aus. Ein paar alte Leute glauben noch an diesen Quatsch, und das wird aussterben. Das war die Idee, die wir alle hatten. Der Kibbuz und der Moshaw, besonders der Kibbuz, wir waren alle sehr stolz auf diese Schöpfung. Es war was ganz Neues. Wir waren damals alle Bewunderer des Kibbuz, auch wenn wir nicht im Kibbuz gelebt haben. Die illegale Truppe kam aus dem Kibbuz. Und wie gesagt, ich war in der Untergrundbewegung, die dagegen war, und weil ich das falsch fand, bin ich aus dieser Untergrundbewegung ausgetreten, als ich 18, 19 Jahre alt war.

Dieser Sozialismus war im Grunde nicht marxistisch. Es gab auch eine marxistische zionistische Bewegung, aber die Hauptbewegung, die diesen Kibbuz und den Moshaw geschaffen hat, war sozialistisch, nicht marxistisch. Sie war etwas utopisch angehaucht, hatte von Tolstoij beeinflußte Leute dadrin. Ich selbst war nie in meinem Leben Marxist. Was außergewöhnlich ist, denn die meisten Leute, die in der Friedensbewegung waren, früher mal, sind entweder Kommunisten oder Marxisten gewesen. Ich habe nie daran geglaubt. Die Sowjetunion war mir nie sympathisch. Und auch darin unterschied ich mich etwas von den Vielen, von meinen späteren Freunden. Aber darum wurde mir auch diese schreckliche Enttäuschung erspart, die viele Leute in meiner Generation durchgemacht haben, nach der berühmten Rede von Chrutschov über Stalin, und dann der Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums. Mir hat das Spaß gemacht, an diese Quasi-Religion habe ich so wenig geglaubt wie an andere Religionen. Ich habe mich immer gewundert, wie intelligente Menschen die Sowjetunion verherrlichen konnten, nachdem jeder vernünftige Mensch schon Mitte der 30er Jahre bei den großen Schauprozessen doch gemerkt haben muß, daß irgend etwas nicht stimmt, irgend etwas sehr, sehr Fundamentales nicht stimmt.

(*jüdische Siedlung) (** israelischer Gewerkschaftsverband)

Was hat Sie persönlich dazu bewegt, in diese Untergrundorganisation zu gehen, was waren die Auslöser, und wie war Ihr Verhältnis zu der britischen Besatzung, wie haben Sie darüber gedacht?

Ich weiß sehr gut, warum ich dort eingetreten bin. Für mich war das eigentlich selbstverständlich. Palästina war eine englische Kolonie, offiziell hieß das nicht Kolonie, sondern "Mandat", das war praktisch dasselbe. Wir waren nicht frei in unserem eigenen Lande, das war eine koloniale Diktatur. Englische Soldaten, englische Polizisten liefen auf der Straße herum, bestimmten unser Leben, das war mir unerträglich. Für mich war der Untergrund ganz einfach eine Befreiungsorganisation zur Abschüttelung einer fremden Herrschaft. Das hat mir später sehr geholfen zu verstehen, warum junge Palästinenser in den Untergrund gehen gegen uns, und ich habe immer gewußt, was die Palästinenser tun werden. Weil es mir ganz klar war. Ich habe immer gesagt: Was hätte ich getan? Was habe ich getan im selben Alter? Und was hätte ich getan, wenn ich heute in demselben Alter wäre? Ich habe mich immer gewundert und war total erstaunt darüber, daß Menschen wie Menahim Begin oder Israk Shamir, ehemalige Terroristen wie ich, Führer von Terror-Organisationen, die politischen Terror als Machtmitttel benutzt haben, um ihre Ziele zu verwirklichen, warum sie so außerstande waren, zu begreifen, wie die Palästinenser reagieren, wie der palästinensische Untergrund reagiert. Ich war ziemlich freundschaftlich mit Menahim Begin verbunden, weil wir eine Zeitlang in derselben Organisation waren, ich habe im Parlament sehr oft Diskussionen mit Begin darüber gehabt. Ich habe gesagt: Herr Begin, warum verstehen Sie nicht, was da passiert? Wir haben doch genau dasselbe gemacht in einer ähnlichen Situation. Für die meisten Leute war das absolut unmöglich, Vergleiche zu ziehen zwischen uns und ihnen, denn wir waren ja Freiheitskämpfer und die sind Terroristen. Was ist der Unterschied zwischen Terroristen und Freiheitskämpfern? Freiheitskämpfer sind auf unserer Seite, Terroristen sind auf der anderen Seite. Das ist der einzige Unterschied im Grunde. Wie gesagt, ich habe sehr starke Erinnerungen aus der Untergrundzeit mitgenommen.

Auch nach so vielen Jahren erinnere ich mich genau, nicht nur, was ich getan habe, sondern auch, was ich gefühlt habe und wie ich auf Sachen reagiert habe. Und das hat es mir viel leichter gemacht, zu verstehen, was auf der anderen Seite passiert. Die Intifada* zum Beispiel, die eine riesige Überraschung für alle unsere Geheimdienste war, und auch für unsere Regierung. Ich habe ein Jahr vorher eine futuristische Geschichte geschrieben über den nationalen Aufstand der Palästinenser, wie er aussehen wird. Und praktisch in allen Einzelheiten geschildert, was dann ein Jahr später passiert ist, während es für unsere weltberühmten Geheimdienste eine totale Überraschung war. Warum? Weil sie eben einfach nicht projizieren konnten in die Situation der Palästinenser.

(* gemeint ist die 1. Intifada, die 1987 begann)

Was haben Sie persönlich erlebt, wie haben Sie das empfunden, diese Auseinandersetzung, ich nenne sie jetzt mal jüdisch-arabische Auseinandersetzung, Unruhen, wie man immer so schön sagt, zwischen 1936 und 1939, wie war das für Sie, diese Zeit?

Als diese arabische Revolte im April '36 ausbrach, war ich noch in der Schule. Ich erinnere mich, wie mein Vater in die Schule gekommen ist, um mich abzuholen, alle Eltern haben Angst gehabt um ihre Kinder. Es gab ein paar Dutzend Tote an dem Tag in Jaffa, nicht weit von uns. Es hat gedauert, einige Jahre gedauert, bis ich verstanden habe, um was es in Wirklichkeit ging. Zu der Zeit waren wir sehr, sehr nationalistisch, das war ein Krieg zwischen uns und den Arabern. Wir haben nichts verstanden, die Araber sahen aus wie eine Bande von Mördern, die uns umbringen wollen, ohne irgendeinen Grund. Was haben wir den Leuten angetan und so weiter. Es war eine Entwicklung, bis ich ein paar Jahre später angefangen habe, mich dafür zu interessieren, was auf der anderen Seite passiert, was die andere Seite denkt. Und vielleicht habe ich das vierzig, fünfzig Jahre vor den meisten Israelis begriffen. Aber ich muß sagen, zu der Zeit, als ich noch ein Junge war, 14, 15 Jahre alt, habe ich das überhaupt nicht begriffen. Unsere Reaktion war ganz einfach: Sie schießen auf uns, wir müssen zurückschießen. Man wirft Bomben auf uns, dann müssen wir bei ihnen Bomben legen. Es war eine große Diskussion im Lande damals und ich habe rein gefühlsmäßig reagiert: Wenn die uns umbringen, müssen wir sie umbringen.

Als der 2. Weltkrieg losging, haben Sie da noch Erinnerungen dran, und was haben Sie über die Shoa erfahren, wie hat das Ihre Familie erfahren und wie hat das auch Ihre Familie betroffen?

Ich war im Untergrund, ich erinnere mich genau, wo ich mich in Tel Aviv befand, als ich im Radio in einem Café die Kriegserklärung von Chamberlain gehört habe. Für uns war der Kampf um dieses Land das Wichtige. Und wir haben jahrelang beinah ignoriert, was in Europa passiert, weil wir uns gesagt haben: Unsere Aufgabe ist, hier einen Staat zu errichten. Und dann, wenn alles vorbei ist, daß die Juden von dort hierher kommen können. Vielleicht haben wir das alles auch verdrängt, wir haben ja nicht richtig gewußt, was passiert, aber vielleicht auch nicht wissen wollen, denn man hat die Idee gehabt, wir können ja sowieso nichts tun, und darum, was nützt es, wenn wir uns darüber zuviel Sorgen machen. Am Anfang natürlich, in den ersten Monaten des Weltkrieges, ich würde sagen, bis zur Eroberung von Frankreich, haben wir eine starke Diskussion gehabt im Untergrund, was wir tun sollen. Denn der Untergrund, zu dem ich gehört habe, hatte den Befehl bekommen, alle Aktionen sofort einzustellen und die Engländer zu unterstützen, solange der Krieg andauert gegen die Nazis. Aber ein Teil des Untergrundes hat gesagt, das ist dumm, wir müssen genau das Gegenteil tun. Im Krieg ist England schwach, das ist unsere große Gelegenheit, das Land von den Engländern zu befreien. Und da die Feinde unserer Feinde unsere Freunde sind, können wir mit den Italienern und sogar mit den Deutschen paktieren. Die Leute, die daran geglaubt haben, sind aus unserer Organisation ausgetreten, haben eine neue Organisation gegründet, die nachher weltberühmt geworden ist als die "Stern-Gruppe" oder "Stern-Bande", "Lesh" auf Hebräisch. Und die haben Leute geschickt in die Türkei, um mit den Deutschen Kontakt aufzunehmen in der Hoffnung, mit ihnen irgendwie paktieren zu können gegen England. Ich war natürlich nie dafür, für mich war das überhaupt eine verrückte Einstellung.

Wir waren viel zu sehr mit dem beschäftigt, was hier im Lande passierte, was wir hier im Lande tun wollten, als uns damit abzugeben, was in Europa passiert, bis dann die Nachrichten über die Shoa, den Holocaust, ankamen. Ich würde sagen, das war so Ende 1943 oder '44. Wir haben erst wirklich daran geglaubt, als die Rote Armee das erste Vernichtungslager erobert hatte. Das war Maidanek bei Lublin. Und die schreckliche Wirklichkeit – die ja unglaublich war, die kein Mensch glauben konnte – zu unserer Kenntnis kam, das war nicht mehr abzustreiten. Und es hat eine gewaltige Revolution in der Mentalität dieses Landes, des jüdischen Gemeinwesens im damaligen Palästina, ausgelöst, denn der Zionismus hat die jüdische Diaspora abgelehnt. Er war eine Revolte, ein Aufstand gegen alles, was die jüdische Diaspora darstellte. Gegen die jüdische Kultur, gegen die jüdische Religion, gegen die jiddische Sprache, gegen das jüdische Leben im Städteleben in Osteuropa. Und wir sind hier in der Schule in Palästina aufgewachsen mit einer großen Verachtung für alles das. Wir waren ja hier, weil wir das ablehnen, weil wir ein neue Sprache schaffen wollten, eine neue Kultur, ein neues Leben. Alles war neu. Und alles war das Gegenteil von dem, was dort in Osteuropa und überall war.

Als dann der Holocaust kam, war besonders bei älteren Leuten damals eine Riesenwelle von Reue und man fiel von einem Extrem in das andere. Einen Tag vorher war alles, was in Polen, Rußland war, verächtlich. Und am nächsten Tag war das so herrlich, so schön, so idyllisch, das jüdische Leben in den Städten. Das warme jüdische Leben, und all die Sachen, die Sie bis heute noch hören können, war eine Reaktion auf den Holocaust. Ich habe das nie ganz mitgemacht, offen gesagt. Aber der Holocaust hat einen ungeheuren Einfluß auf die Psychologie dieser Gesellschaft hier im Lande gehabt und hat ihn immer noch. Es drückt sich auch darin aus, daß Angstgefühle entstanden sind, die zum Teil irrational sind, ein Bedürfnis, ein Drang nach absoluter Sicherheit, einer Sicherheit, die es nirgends in der Welt gibt, im wirklichen Leben gar nicht geben kann. Sicherheit ist jetzt praktisch hier so ein Ideal, ein Götzendienst.

Und was dazu kommt, ist, daß gewisse Einstellungen, die es in der jüdischen Tradition schon immer gegeben hat, sehr, sehr verstärkt worden sind: Der Eindruck, daß die ganze Welt gegen uns ist, daß alle Völker der Welt Juden vernichten wollen und es auch immer vernichten wollten. Das ist heute ein Instrument der israelischen Erziehung, besonders in religiösen Schulen, das sehr stark die israelische Psychologie bedingt und das es auch so furchtbar schwer macht, Frieden zu machen, denn wenn man glaubt, daß alle uns umbringen wollen, natürlich die Araber auch, wie kann man Frieden machen? Dann müssen wir uns auf unser eigenes Land zurückziehen, müssen unser Land befestigen und bereit sein, unser Leben jeden Augenblick teuer zu verkaufen. Das ist die politische Einstellung, die heute noch einen großen Teil der israelischen Bevölkerung beeinflußt. Und das alles sind Sachen, mit denen wir uns unser ganzes Leben lang abgeben mußten, denn jede Arbeit für den Frieden hier im Lande stößt automatisch auf diese seelischen Komplexe. Wie kann man jemand vertrauen. Glaubst du, daß die Araber ehrlich sind? Glaubst du, daß man mit Arabern Frieden machen kann? Glaubst du, daß überhaupt jemand mit uns Frieden machen wird? Kann man sich auf irgendwas verlassen, außer unser Militär? Und so weiter, das sind einfach Elemente, von denen wir wissen, daß sie da sind, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, die wir überwinden müssen, und die noch lange nicht überwunden sind.

Wie sind Sie persönlich damit umgegangen, mit diesem konstitutiven Leitgedanken, wehrhaft zu sein, sich zu wehren? Also auch 1948, als die Palästinenser diesen Teilungsgedanken nicht nachvollzogen haben und es eben dann zu diesem Krieg kam?

'48 war die Wahl sehr einfach. Es war ein Kampf um's Überleben ganz einfach. Es hatte nichts mehr mit Ideologie zu tun, entweder, sie bringen uns um oder wir bringen sie um. Ich habe mir sehr viele Gedanken darüber gemacht, habe ein paar Bücher drüber geschrieben. Es war ein Krieg, der dem sehr ähnlich ist, was in Bosnien in den letzten Jahren passiert ist. Denn das muß man verstehen. Es gibt ja verschiedene Arten von Kriegen. Diese Art Krieg, in den zwei, drei Bevölkerungen im selben Lande wohnen, und das Land teilen wollen, das sind immer sehr grausame Kriege, denn es geht nicht nur darum, Gebiete zu verteidigen und weitere Gebiete zu erobern, sondern es geht darum, leere Gebiete zu erobern. Denn wenn man einen ethnisch sauberen serbischen oder muslemischen oder kroatischen Staat haben will, dann muß man alle Leute vertreiben, wenn sie nicht dazu gehören. Genauso war es bei uns. Die Gebiete, die wir erobert haben, da blieben keine Araber zurück, und die Gebiete, die wenigen Gebiete, die die Araber erobert haben, da bleiben keine Juden zurück. Wir hatten sehr wenige wirkliche Massaker, aber Vertreibung war ganz allgemein. Und ich war Augenzeuge, ich habe zwei Bücher darüber geschrieben. Darum sind das Mythen, die so herumspuken, die Araber haben das Land freiwillig verlassen und so weiter. Ich meine, jemand, der es erlebt hat, und der ehrlich genug ist, sich daran zu erinnern, was wirklich passiert ist, für den sind diese Mythen alle Quatsch.

Nach dem Krieg habe ich dann begonnen, mir die Lösung vorzustellen und für diese Lösung öffentlich einzutreten. Ich habe während des Krieges ein Buch geschrieben, als Soldat, was sehr berühmt geworden ist. Das war der größte israelische Bestseller für viele Jahre über den Krieg von '48. Sehr im Stil von Erich Maria Remark, "Im Westen nichts Neues", und darum hat es mich sehr gefreut, als ich den Erich Maria Remark Preis bekommen habe in Osnabrück. Ein Jahr nach dem Krieg habe ich ein zweites Buch geschrieben, "Die Kehrseite der Medaille", in dem ich die Schattenseite des Krieges beschrieben habe und auch sehr klar beschrieben habe, wie wir die arabische Bevölkerung vertrieben haben. Man hat das mir dann sehr übel genommen. Das Buch ist boykottiert worden. Als Kind war ich ein paar Jahre lang in meinem Leben ziemlich reich, und dann ein paar Jahre danach war ich sehr, sehr arm, und seitdem habe ich die Achtung für das Geld verloren. Ich war ein Jahr lang in meinem Leben furchtbar populär, nachdem mein erstes Buch herausgekommen ist, das war das Kriegsbuch überhaupt für den Krieg von '48, ich glaube, auch heute noch. Ich war ganz, ganz, populär bei allen und ein Jahr später habe ich das zweite Buch geschrieben über die andere Seite des Krieges, und da wurde ich über Nacht sehr, sehr unpopulär. Und seitdem habe ich auch alle Achtung vor Popularität verloren, mir ist es ziemlich egal, ob ich populär bin oder nicht. In der ersten Hälfte des Krieges war ich gegen die Palästinenser eingesetzt. Die zweite Hälfte des Krieges waren an meinem Frontabschnitt die Ägypter. Ich bin aus dem Krieg herausgekommen mit der absoluten Überzeugung, daß das palästinensische Volk besteht und weiterhin bestehen wird, daß das Problem im Grunde ein isrealisch-palästinensisches Problem ist, und daß wir mit den Palästinensern Frieden machen müssen. Das war vor sehr vielen Jahren, als Israel bestritten hat, daß es ein palästinensisches Volk gibt und der Name Palästina von der Landkarte verschwunden ist. Da war diese Idee verrückt, und danach war es Hochverrat oder naiv oder blöd. Ich war der erste im Lande, der gesagt hat: Friede nicht mit den Jordaniern, Friede nicht mir den Arabern, Friede mit den Palästinensern. Das Problem ist ein Palästina-Problem, und nicht ein arabisches Problem und nicht ein jordanisches Problem. Und unser Partner in diesem Frieden, Hauptpartner, ist nicht ein König in Amman oder ein Präsident in Kairo, es geht um die Palästinenser. Ich habe viele Jahre vor 1967 vorgeschlagen, daß wir der palästinensischen Nationalbewegung auf die Beine helfen, und daß wir die unterstützen und mit ihnen einen Pakt schließen, als es noch darum ging, palästinensische Gebiete von den Jordaniern zu befreien, das Westufer von den Jordaniern und den Gaza-Streifen von den Ägyptern. Wie gesagt, das war irrsinnig, war ketzerisch und was weiß ich, was.

Ich habe 1950 ein kleines Wochenblatt übernommen und daraus ein Nachrichtenmagazin gemacht. Es galt in Deutschland immer als sehr ulkig, daß Rudolf Augstein und ich auf der selben Schulbank derselben Klasse in derselben Schule gesessen haben, daß wir zwei Nachrichtenmagazine gemacht haben, die dann sehr oft verglichen worden sind, aber ich wußte gar nichts davon. Ich hatte total den Kontakt mit ihm verloren und er mit mir noch viel mehr, denn ich habe ja meinen Namen verändert. Und erst sehr viele Jahre später, als wir beide schon Herausgeber, Chefredakteure von Nachrichtenmagazinen waren, haben wir uns wiedergefunden, das war irgendwie – war das komisch. Jedenfalls habe ich 1950 dieses Nachrichtenmagazin gegründet, das in extremer Opposition zu allen israelischen Regierungen gestanden hat. Ich war 40 Jahre lang Chefredakteur und Herausgeber. Wir haben von Anfang an dieses Evangelium gepredigt: Frieden mit den Palästinensern, Partnerschaft mit dem Palästinensern, ein Palästina-Staat neben Israel. Daran haben wir festgehalten durch alle Stadien.

Ich habe dann 1965 eine Partei gegründet mit dem Namen dieses Nachrichtenmagazins. Ich glaube, das ist einmalig in der Weltgeschichte, daß eine Zeitung eine Partei gründet. Sehr oft gründen Parteien Zeitungen, aber nicht umgedreht. Ich habe anderthalb Prozent der Stimmen im Lande bekommen und bin gewählt worden, war dann zehn Jahre lang im Parlament, in drei Amtsperioden und habe im Parlament diese Position vertreten. Ich war Parlamentsmitglied, als 1967 im sogenannten Sechs-Tage-Krieg wir alle palästinensischen Gebiete erobert haben. Ich habe noch während des Krieges einen öffentlichen Brief geschrieben an den Ministerpräsidenten, daß wir jetzt sofort einen Palästina-Staat gründen sollen, sofort Frieden mit den Palästinensern machen bei Kriegsende und alle diese Gebiete, die wir soeben erobert haben, den Palästinensern übergeben. Ich habe auch mit dem Ministerpräsidenten gesprochen darüber, zwei, drei Tage nach dem Krieg, das ist natürlich nicht angekommen. Heute, – ich glaube, es gibt heute sehr viele Leute im Lande, die es bereuen, daß wir es nicht damals gemacht haben, das war sicher ein kardinaler Fehler. Und ich habe dann paar Jahre später angefangen, persönliche Kontakte zu der PLO-Führung aufzunehmen.

Wie war das für Sie als deutscher Jude, zu erfahren, daß der Holocaust von Deutschland ausgegangen ist. War das für Sie besonders bedrückend?

Das war keine Überraschung, denn ich habe mich mit den Nazis immer sehr, sehr beschäftigt. Ich habe später ein Buch über den Aufstieg der Nazi-Partei geschrieben. Ich war nicht überrascht. Daß es so weit gegangen ist, das konnte einen vielleicht überraschen. Über den Charakter dieser Bewegung hatte ich nicht die allerkleinste Illusion. Wir wußten schon als wir auswanderten – es war kein Geheimnis -, daß es Konzentrationslager gab und daß da solche schrecklichen Sachen passieren. Ich glaube, daß die Nazis selbst es nicht verheimlicht haben, sondern ganz im Gegenteil: Um Terror in Deutschland zu verbreiten, um allen Leuten Angst einzujagen, haben die Nazis selbst diese Nachrichten über die Konzentrationslager verbreitet. Glaube ich. Jedenfalls, wir wußten schon '33/34, was in Orten wie Dachau und Buchenwald und Oranienburg und so weiter passiert. Das Einzigartige am Holocaust, diese fabrikartige Massenvernichtung, das war neu. Das haben wir nicht geahnt, bis wir wirklich Kenntnis davon bekommen haben.

Aber die Nazis haben mich nicht überrascht. Ich wußte immer, wer Hitler war und wer diese Leute sind, ich habe ja diese Bewegung mit eigenen Augen noch gesehen als Kind in Deutschland, als jüdisches Kind in Deutschland, 1932, '31/32, war man ja total auf Politik eingestellt. Politik war unser Leben. Es ging buchstäblich um unser Leben. Und darum habe ich sehr scharfe Eindrücke, was in Deutschland damals wirklich passiert ist. Als meine Eltern beschlossen haben, auszuwandern, war bei uns zu Hause so eine Art Familienkonzil, unsere Onkel und Tanten und so weiter waren alle da, und alle haben zu meinem Vater gesagt: Du bist verrückt, in Deutschland kann uns nichts passieren! Und alle Leute, die das gesagt haben, sind im Holocaust verschwunden. In Hannover ist ein großes Mahnmal mit dem Namensverzeichnis aller jüdischen Bürger, die in Hannover im Holocaust umgekommen sind, und da stehen alle meine Verwandten drauf. Keiner konnte davon überrascht sein, der verfolgt hat, was passiert ist. Ich weiß, daß viele Leute nichts gewußt haben, aber ich weiß auch, daß sie es nicht gewußt haben, weil sie es nicht wissen wollten. Das habe ich sehr oft im Leben erlebt, wenn Leute etwas nicht wissen wollen, gelingt es ihnen wunderbar, nichts zu wissen. Das ist ein Verdrängungsvorgang, der psychologisch leicht erklärbar ist. Und gerade diese Ungeheuerlichkeit des Holocaust, das Einmalige daran ist es ja, was die Leute dazu drängt, es zu verdrängen. Denn wie kann man, wenn man ein Deutscher ist, der die Zeit miterlebt hat, wie kann er damit umgehen? Ganz egal, was er getan oder nicht getan hat. Wie setzt man sich damit auseinander? Das ist beinah unmöglich. Und darum wird es in Deutschland verdrängt, ist es von dieser ganzen Generation verdrängt worden, und selbst jetzt kommen noch Sachen heraus, die sie total verdrängt haben, wie zum Beispiel die Rolle der Wehrmacht im Holocaust. Auf unserer Seite haben es die Opfer auch verdrängt. Und wir haben es verdrängt, wir, die wir den Krieg gegen Palästina erlebt haben, und im Grunde ein sehr schönes Leben geführt haben, während dem das passiert ist. Wir verdrängen das ja auch, auf eine andere Art. Wir sind alle irgendwie Invaliden des Holocaust, die Deutschen und Juden und Israelis und Palästinenser, alle auf ihre Art. Alle sind Opfer des Holocaust, auf verschiedenen Arten.

Jetzt komme ich zum Sinai-Feldzug 1956. Da gibt's ja dieses Urteil von Isaak Deutscher, daß die Israelis sich in diesem Krieg zu Bütteln der Franzosen und der Engländer gemacht haben, also der zwei Ex-Kolonialherren. Was haben Sie persönlich erlebt in diesem Konflikt, wo waren Sie selber, waren Sie vielleicht irgendwo militärisch eingesetzt, und wie haben Sie das Ganze empfunden?

Ich war kein Soldat mehr, ich bin wie gesagt, am Ende des '48er Krieges schwer verwundet worden und bin aus der Armee ausgeschieden. Obwohl ich am Anfang noch etwas Reservedienst gemacht habe. Diese Verwundung übrigens, ich habe ein paar Bauchschüsse bekommen, und bin von meinen eigenen Soldaten gerettet worden. Ich war Korporal im Krieg. Meine Soldaten haben mich gerettet. Ich bin noch rechtzeitig ins Krankenhaus gekommen zwei Stunden nach der Verwundung. Es war schon etwas kritisch, aber es ging noch, und bin operiert worden. Und nach ein paar Monaten habe ich von dieser Wunde nichts mehr empfunden und habe diese Verwundung total vergessen. Ich habe noch Narben, aber ich habe sie vergessen. Vor ein paar Wochen hat diese Verwundung angefangen aufzuwachen. Und das ist -sage ich zu meinen Freunden – eine Art Allegorie, daß Wunden in unserem Konflikt, Wunden, die man schon vergessen hat, nicht verschwinden, sie sind immer noch da, sie tauchen immer wieder auf. Das nur nebenbei.

1956 war ich schon Redakteur dieses Wochenblattes, Nachrichtenmagazins, wir sind ganz, ganz scharf gegen diesen Krieg aufgetreten. Ich habe einen Artikel geschrieben über ein Geschehnis in diesem Krieg, ein wirkliches Geschehnis. Ein israelischer Tank hat in der Nacht seinen Weg verloren und dann hat er die Tankkolonne wiedergefunden, und da war ein Loch, da ist er in dieses Loch hineingeschlüpft und ist er mit der Tankkolonne weitergefahren, und im Morgengrauen hat er gemerkt, daß er in der falschen Tankkolonne war, er war in einer ägyptischen Tankkolonne. Und bevor es die Ägypter bemerkt haben, hat er noch zehn ägyptische Tanks zerschlagen, bevor er geflüchtet ist. Das war ein wirkliches Erlebnis. Und ich habe gesagt, das ist eine Allegorie für diesen Krieg, wir sind in einer falschen Kolonne, denn wir und die Engländer und Franzosen haben in dieser Region nichts zu suchen.

In unserem Nachrichtenmagazin haben wir die ägyptische Revolution begrüßt, 1952, und vorgeschlagen, mit der ägyptischen Revolution zu paktieren. Wir haben vorgeschlagen, mit Abd El Nasser Kontakt aufzunehmen. Ich kannte Abd El Nasser indirekt. Wir waren an derselben Front, '48, monatelang, im selben Frontabschnitt auf den beiden Seiten. Wir hatten gemeinsame Freunde. Und ich war überzeugt, daß wir mit Abd El Nasser zu einem Frieden kommen können. Jetzt sind Dokumente unseres Außenamtes veröffentlicht worden, die beweisen, daß ich Recht gehabt habe. Es war eine Möglichkeit, mit Nasser Frieden zu machen. Man wollte nicht, weil wir mit den Kolonialmächten paktiert haben, hauptsächlich mit Frankreich, und diesen unglückseligen Krieg von '56 mit den Kolonialmächten gemacht haben. Das war natürlich ein politisches Unglück, denn wir haben jede Möglichkeit verloren, viele Jahre lang, mit irgendeinem arabischen Volk Frieden zu machen. Nicht durch den Krieg selbst, sondern auch durch diese Verbindung mit den zwei Kolonialmächten, die die Hauptfeinde der arabischen Nationalbewegungen waren. Wir waren gegen diesen Krieg, bevor er angefangen hat, während und nach dem Krieg. Wir waren gegen diese ganze Linie von Ben Gurion. Ben Gurion war überzeugt, daß ein Frieden mit den Arabern unmöglich ist und vielleicht auch nicht anzustreben ist, und daß wir Bundesgenossen im Westen brauchen. Frankreich, England, später Amerika. Wir waren in totaler Opposition gegen diesen ganzen Kurs. Vielleicht sollte ich dazu etwas sagen. Wenn ich sage, wir waren in Opposition zu unserer Regierung, ist das nicht umfassend und stark genug, weil man immer den Eindruck gehabt hat, daß wir damals in unserem Nachrichtenmagazin und später in unserer Partei in starker Opposition waren wegen der arabischen und anti-palästinensischen Politik dieser Regierungen. Aber unsere Opposition war bei weitem breiter. Wir waren im Grunde vom ersten Tag des Staates Israel gegen die Grundauffassung des Staates überhaupt. Es ging nicht nur darum, was sind wir vis-à-vis den Arabern, es ging auch darum und geht immer noch darum, was ist eigentlich der Staat Israel? Wo gehört er hin? Sind wir ein europäischer Staat, der durch Zufall hier in diesem Gebiet entstanden ist oder gehören wir zu diesem Gebiet, sind wir Asiaten, sind wir Zionisten, gehören wir zu diesem Raum, den sie in Europa Naher Osten nennen? Was für ein Staat ist es? Ist es ein jüdischer Staat, ist es ein israelischer Staat, sind wir Juden oder Israelis, jüdische Israelis oder israelische Juden? Das sind alles verschiedene Dinge, die nicht nur theoretisch sind, sondern sehr, sehr starke praktische Auswirkungen haben, zum Beispiel: Wenn es ein jüdischer Staat ist, können wir die Religion vom Staat trennen? Jüdisch sein, ist das was Religiöses, was Nationales oder beides? Wenn es ein jüdischer Staat ist, was machen hier die palästinensischen Staatsbürger Israels, die beinah 20% heute im Staat sind, das heißt, jeder fünfte Israeli ist ein Araber. Das sind alles ungelöste Fragen. Sind wir ein demokratischer Staat oder ein jüdischer Staat, oder ein jüdischer demokratischer Staat? Und was heißt das eigentlich, jüdischer demokratischer Staat, in dem jeder fünfte Staatsbürger kein Jude ist? Das sind alles Grundprobleme, und in allen diesen Problemen waren wir in absoluter Opposition zur Grundauffassung, die von Ben Gurion vertreten worden ist.

Was war das für eine Grundauffassung, und wie war Ihre persönliche Einstellung zur Staatsgründung Israels bzw. inwieweit haben Sie sich mit Israel identifiziert?

Ich habe auch schon seinerzeit geschrieben, sofort nach dem Krieg haben wir gesagt, der Staat, der jetzt entstanden ist, ist nicht der Staat, den wir als Soldaten im Krieg angestrebt haben. Mein Nachrichtenmagazin war etwas ganz Besonderes, denn wir waren so eine Art Organ dieser Generation, der Kriegsgeneration, als solche wurden wir auch betrachtet. Wir haben eine neue Sprache erfunden, in einer neuen Sprache geschrieben, die dem Sprachempfinden dieser Generation entsprach. Unsere Idee, unsere Grundauffassung war: Wir gründen einen Staat Israel, wir, nicht Ben Gurion. Unser Staat ist im Krieg entstanden, Ben Gurion hat ihn ausgerufen, aber entstanden ist er im Krieg, und wir haben ihn geschaffen, und nicht jemand anders. Der Staat, den wir haben wollen, ist ein demokratischer, liberaler Staat. Die Mehrheit in diesem Staate hat eine jüdische Abstammung, aber der Staat selbst ist israelisch. Wir Israelis sind im Grunde eine neue Nation. Es ist keine automatische Fortsetzung des jüdischen Volkes. Wir sind was Neues innerhalb des jüdischen Volkes, so wie Australien oder Kanada was Neues sind, neue und eigene Nationen sind innerhalb der angelsächsischen Kultur. Wir wollen einen liberalen Staat, das heißt, wir wollen eine absolute Trennung zwischen Staat und Religion und auch zwischen Staat und Nation. Israeli ist, wer die israelische Staatsbürgerschaft hat, und alles andere ist dem Staate gleichgültig. Und so weiter und so weiter, natürlich die totale Gleichberechtigung mit den Palästinensern in Israel. Und Israel soll ein Staat sein, der sich in dieser Region identifiziert, das heißt, automatisch Bundesgenosse aller arabisch-nationalen Bewegungen ist, besonders Bundesgenosse der Palästinenser, daß wir daran interessiert sind, daß ein Palästinenser-Staat neben Israel entsteht mit einer gemeinsamen Hauptstadt in Jerusalem und alles das haben wir vor 50 Jahren gesagt. Was in Oslo passiert ist, ist ein historischer Schritt und zwar nicht, weil ein Abkommen unterschrieben worden ist. Das Abkommen war ziemlich miserabel, das Wichtige war nicht das Abkommen, das Wichtige war die gegenseitige Anerkennung der Palästinenser und der palästinensischen Befreiungsbewegung. Das war das Wichtige.

Wie haben Sie in den 50er und in den 60er Jahren die Situation der Palästinenser, die hier gelebt haben, die einen israelischem Paß hatten und israelische Staatsbürger geworden waren, empfunden. Haben Sie politisch irgendwelche Schritte unternommen?

Wir waren im täglichen oder wöchentlichen Kampf um die Gleichberechtigung der arabischen Staatsbürger in Israel. Am Anfang ging es darum, daß die Regierung riesige Bodenflächen beschlagnahmt hat, das heißt, den Arabern den Boden weggenommen hat, um jüdische Siedlungen dort zu gründen. Das war ein stetiger Kampf, beinah jede Woche passierten solche Geschichten. Um diese Sache zu vereinfachen, hat Ben Gurion 18 Jahre lang die arabische Bevölkerung in Israel selbst unter Militärverwaltung gehalten. Der Kampf zur Abschaffung der Militärverwaltung war einer der wichtigsten Kämpfe, die wir bestanden haben. Ich habe mit anderen politischen Kräften eine Organisation zur Abschaffung des Militärregimes geschaffen. Wir waren jahrelang damit beschäftigt, bis es endgültig abgeschafft worden ist. Ein Jahr vor dem Sechstagekrieg. Es war ein ständiger Kampf, es war ein Kampf gegen die Ungerechtigkeit, für Demokratie. Aber es war auch ein Kampf um die Grundidee Israels: Was ist eigentlich Israel? Ein Problem, das bis heute noch nicht gelöst worden ist, die Diskussion geht heute noch weiter. Was ist eigentlich Israel? Im Wahlkampf spielt das eine große Rolle. Besonders die religiösen Parteien sagen in jeder Wahlsendung, sagen: Wir wollen einen jüdischen Staat, wir müssen wieder jüdisch werden, wir sind nicht jüdisch genug und die zeigen Israelis mit Ohrringen und Zöpfen und so, – um zu zeigen, daß wir nicht mehr richtige Juden sind. Ich sage: Gott sei Dank, obwohl ich nicht an Gott glaube. Ich bin total überzeugt, daß wir diesen Kampf gewinnen werden, denn Israel entwickelt sich sehr schnell. Israel, die israelische Gesellschaft, wird mehr und mehr von der jüdischen Religion entfremdet. Die Religiösen werden mehr und mehr rabiat, weil sie sich gefährdet fühlen, das ist ein Rückzugsgefecht praktisch. Und was wir heute haben, wird zum ersten Mal ganz klar und offensichtlich: Alle Religiösen sind rechts, 99% der Religiösen sind rechts. Wenn Sie jemand sehen mit einem Käppi auf dem Kopf, dann wissen Sie ganz einfach: Er steht auf der anderen Seite. Und die Rechtsradikalen in Israel sind beinahe alle religiös. Rechtsradikale, die man in Europa nur Faschisten nennen würde. Hier im Lande gebraucht man das Wort nicht gerne. Diese Leute sind religiös, beinah alle. Während auf unserer Seite, der Friedensbewegung, es so gut wie keine religiösen Leute gibt. Die können eine Demonstration haben von 100.000 Menschen für den Frieden, wie an dem Abend, als Rabin ermordet worden ist. Bei dieser Kundgebung, da waren keine 100 Jungen oder Männer, die ein Käppchen auf dem Kopf hatten und dadurch als Religiöse identifiziert waren, außer der Mörder selbst. Und der Mörder hat sein Käppchen abgenommen, damit man ihn nicht verdächtigt.

Ich komme auf den 67er Krieg zurück. Was haben Sie persönlich empfunden. Haben Sie eine starke Erinnerung daran, an ein spezielles Erlebnis?

Der Krieg von '67 war ein besonderes Erlebnis, weil er ganz plötzlich kam. Unsere Geheimdienste waren wieder mal total überrascht. Die zwei Wochen vor dem Krieg, zwei, drei Wochen vor dem Krieg, waren eine sehr gespannte Zeit, denn alle Leute hatten Angst gehabt vor dem Krieg. Den Krieg haben wir sehr schnell gewonnen. Am vierten Kriegstag haben wir alle palästinensischen Gebiete erobert und meine sofortige Reaktion war: Jetzt ist historische Gelegenheit da, das zu tun, was wir seit langem vorgeschlagen haben, nämlich einen Palästina-Staat zu gründen. Es ging jetzt nicht mehr darum, wie wir früher vorgeschlagen haben, eine palästinensische Bewegung zu unterstützen, damit sie das Westufer von Jordanien befreit und den Gaza-Streifen von den Ägyptern, jetzt geht es darum, daß wir diese Gebiete haben und wir diese Gebiete den Palästinensern übergeben können und einen wirklichen Frieden schaffen können, was total in unserer Gewalt ist. Ich bin sofort in den Wochen danach in den besetzten Gebieten beinah täglich herumgereist. Ich habe alle wichtigen Palästinenser in den Gebieten gesprochen. Ich bin total überzeugt worden, daß es möglich ist, sofort einen Palästina-Staat zu gründen. Als Parlamentsmitglied und auch Herausgeber des Nachrichtenmagazins habe ich viele der führenden Politiker gesprochen. Besonders den Ministerpräsidenten Levi, mit dem ich auf gutem Fuß stand. Und ich war direkt verzweifelt, daß die Leute nicht eingesehen haben, was für eine einmalige historische Gelegenheit sie haben, zu einem Frieden zu kommen. Ich muß sagen, es waren einige Generäle der israelischen Armee derselben Meinung wie ich. Ich war ziemlich populär bei der Generalität damals, denn viele Generäle glaubten, daß auch aus Sicherheitsgründen das die richtige Lösung wäre. Ich habe praktisch jede Woche im Parlament zwei, drei Reden darüber gehalten, mich sehr, sehr stark mit Moshe Dajan auseinandergesetzt. Moshe Dajan war ja damals Verteidigungsminister und darum unterstand ihm diese ganze Sache. Wir haben sehr üble Diskussionen, Debatten darüber gehabt im Parlament und den Ausgang wissen wir alle. Wir haben zwanzig Jahre verloren, aus reiner Dummheit, reiner Begrenztheit, aus Siegestaumel, aus Geiz. Ich habe im Parlament eine Rede gehalten: Wissen Sie, meine Damen und Herren, wie man Affen fängt? In Afrika? Man nimmt eine Flasche, tut eine Aprikose hinein, und der Affe kommt, geht mit der Hand in die Flasche, faßt die Aprikose und will die Hand rausziehen, kann aber nicht mehr, weil die Faust zu groß ist und nicht wieder heraus kann. Er kann jeden Augenblick die Aprikose aufgeben und sich retten, er kann es aber nicht, weil er die Aprikose nicht aufgeben kann. Wir sind in der gleichen Situation. Weil wir die besetzten Gebiete nicht aufgeben wollen, weil wir uns darin verliebt haben, kommen wir zu keinem Frieden. Und werden weitere Kriege haben. Wie gesagt, ich habe Hunderte von Reden darüber gehalten. Ich habe auch ein paar Protokolle über Gespräche mit Levi darüber und es nützte alles nichts, es war einfach unmöglich, damit durchzukommen. Die Leute wollten die Gebiete nicht nur behalten, sie haben angefangen, diese unglückseligen Siedlungen aufzustellen, die heute das Hauptproblem sind, das gelöst werden muß, um überhaupt zu einem Frieden zu kommen.

Und ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie dieser Mechanismus abläuft, wie wir uns langsam immer mehr in diese Gebiete verwurzeln und es immer schwerer wird, die Gebiete aufzugeben. Ich habe mal zu Golda Meir, als sie Ministerpräsidentin war – ich habe sie immer gehaßt und sie mich auch -, gesagt: Jede Siedlung, die Sie jetzt aufstellen, ist eine Landmine, die wir eines Tages wieder herausholen müssen, und glauben Sie mir als ehemaligem Soldaten, das ist eine sehr unangenehme Aufgabe, ein Minenfeld zu säubern. Und das ist natürlich passiert, und mit diesen unglückseligen Siedlungen müssen wir uns heute abgeben, und wegen der Siedlungen kann es dazu kommen, daß wir einen schlechten Frieden machen, der nicht standhalten wird.

Wie haben die Palästinenser – Sie haben ja gesagt, Sie sind rumgereist im Land, in den besetzten Gebieten – auf Ihre Ideen reagiert?

Ich habe, wie gesagt, seit Ende der 40er Jahre die Idee vertreten, die Lösung ist: zwei Staaten. Der Staat Israel und der Staat Palästina mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Ich habe sofort nach dem Sechs-Tage-Krieg ein Buch geschrieben. Auf Deutsch hieß das "Israel ohne Zionisten". Das ist auch in Deutschland herausgekommen, in vielen Sprachen. Darin habe ich den Konflikt analysiert, den israelisch-palästinensischen Konflikt, und diese Lösung vorgeschlagen. Zu der Zeit war die ganze Welt dagegen. Nicht nur alle Israelis waren dagegen, sondern auch die palästinensische Freiheitsorganisation PLO war total dagegen. Die Organisation hat in Beirut ein Buch herausgegeben, mit dem sehr schmeichelhaften Titel "Uri Avnery und der Neozionismus", ein arabisches Buch, das auch auf Französisch herausgekommen ist, in dem steht, daß dieser Avnery-Plan ein Komplott gegen das palästinensische Volk ist, das ist eine gefährliche Art Zionismus, und daß Uri Avnery gefährlicher ist als Menahim Begin und Golda Meir. Der Mann, der dieses Buch geschrieben hat, sitzt heute in Gaza, ist heute ein Protagonist dieser Idee. Aber das nur so nebenbei. Die PLO war dagegen. Bis 1973, als Arafat, vielleicht sogar als Erster auf der palästinensischen Seite, erkannt hat, daß das die einzige Lösung ist. Arafat hat mir später gesagt, daß er jahrelang meine Zeitung gelesen hat. Wir haben ein paar Jahre lang eine arabische Ausgabe veröffentlicht und die hat er in Jordanien jede Woche gelesen, so sagte er mir. Natürlich andere auch. Und langsam ist diese Idee durchgesickert und Ende '73, nach dem Jom-Kippur-Krieg, hat Arafat diese Idee angenommen und seitdem hat er sich konsequent bemüht, seine eigene Organisation von dieser Idee zu überzeugen. 1969 bin ich nach Amerika gefahren, um zu versuchen, diese Idee zu propagieren. 1969 war die Lage so: Die Sowjets waren dagegen, die Amerikaner waren dagegen, die Engländer waren dagegen, die Palästinenser waren dagegen und die Israelis waren dagegen. Und Europa war dagegen, natürlich. Wir sind weit voran gekommen seit dem. Aber in Amerika seinerzeit habe ich mich mit führenden Leuten im Weißen Haus getroffen, nicht mit dem Präsidenten natürlich, aber mit führenden Beamten, im Außenministerium, State Department, bei dem United Nations, Amerikaner, Engländer und Russen, und alle waren total ablehnend. Die Idee war verpönt. Die Kommunisten hier im Lande waren dagegen. Breschnew hat sich zu dieser Idee 1970/71 bekehrt. Der russische Kurs ist umgeschwenkt und hat mehr oder weniger diese Idee übernommen. Die PLO hat sie übernommen und langsam ist die ganze Welt zu dieser Idee gekommen, aus einem ganz einfachen Grund: Es war der einzige Plan, der realistisch war, ganz einfach.

Inwieweit hat der Jom-Kippur-Krieg zu so einem Umdenkungsprozeß auch bei der PLO geführt?

Sehr stark. Sehr stark. Auf beiden Seiten. Der Jom-Kippur-Krieg, man muß sich dran erinnern, hat angefangen mit einem riesigen arabischen Sieg. Und innerhalb von drei Wochen hat die israelische Armee den Spieß umgedreht, aber am Ende des Krieges war unsere Armee auf der ägyptischen Seite des Suez-Kanals und die ägyptische Armee war auf unserer Seite des Suez-Kanals, das heißt, keiner hat einen absoluten Sieg errungen. Die Palästinenser haben nach diesem Krieg erkannt, ich glaube, alle Araber haben nach diesem Krieg erkannt, daß es keine militärische Option gibt für die Palästinenser, für die Araber überhaupt. Denn ein Krieg, der mit so einem gewaltigen Überraschungssieg angefangen hat, wenn die Araber diesen Krieg verloren haben, heißt das, daß sie keine militärische Option mehr haben. Und das hat, glaube ich, Arafat und seine Leute davon überzeugt, daß die Idee eines militärischen Kampfes, eines militärischen Sieges gegen Israel ein Hirngespinst ist, einfach nicht realistisch ist. Auf unserer Seite hat das etwas Ähnliches bewirkt, denn der Krieg war ein Schock. Wir haben zum ersten Mal im Fernsehen israelische Kriegsgefangene auf der anderen Seite gesehen. Das war ein schreckliches Bild für Israelis, der israelische Supermann und die unbesiegbare israelische Armee sind in diesem Krieg zerstört worden. Und ich glaube, auch wir, also Israel ist in diesem Krieg zu der Überzeugung gekommen, daß eine militärische Entscheidung in diesem Konflikt unmöglich ist. Und so fingen beide Seiten zum ersten Mal vielleicht an, dazu zu neigen, eine politische Lösung überhaupt zu suchen auf beiden Seiten. Rabin ist damals zum ersten Mal Ministerpräsident geworden. Er hat mit Kissinger und mit den Ägyptern und Syrern ein Interimsabkommen geschlossen. Die israelische Armee hat sich zurückgezogen aus einem Teil des Sinai und einem Teil der Golan-Höhen.

Und so ist zum ersten Mal eigentlich eine Verhandlung mit den Arabern zustande gekommen, mit den Arabern, aber nicht mit den Palästinensern. Ich habe nach dem Krieg mit Rabin, den ich immer sehr geschätzt habe, einen Dialog angefangen über das Palästina-Problem. Rabin war total gegen eine Lösung mit den Palästinensern, und wir haben jahrelang darüber diskutiert, als er Botschafter war in Washington und dann in der Opposition und dann Ministerpräsident, und dann wieder in der Opposition, dann wieder Ministerpräsident. Und er ist langsam zur Überzeugung gekommen, wie viele andere, daß wir eine Lösung mit den Palästinensern brauchen, und zwar auf dem Weg der Eliminierung aller anderen Lösungen, an die man geglaubt hat. Alle Lösungen sind ja ausprobiert worden, alle sind gescheitert. Und am Ende blieb nichts übrig außer eine Lösung mit den Palästinensern. Ob ich vielleicht etwas auf Rabin eingewirkt habe, ihm das zu erleichtern, diese Lösung anzunehmen, weiß ich nicht, ich glaube nicht. Aber vielleicht habe ich doch hier und da irgend etwas gesät in seinem Bewußtsein. Vielleicht.

Sie haben vorher gesagt: Der Jom-Kippur-Krieg hat auch zu einem Umdenken in der israelischen Bevölkerung geführt. Bis dahin war es ja eigentlich so, daß die Psyche hier im Volk, in der Gesellschaft, sehr stark geprägt war von den ständigen Siegen, daß man siegreich war, daß man stark war. Inwieweit hat das zu einer Militarisierung der gesamten Gesellschaft und zur Militarisierung des Denkens beigetragen? Und inwieweit hat die Besetzung dieser Gebiete 1967 zu einer Polarisierung der Bevölkerung beigetragen, – also daß es eine Strömung gab, die jetzt noch mehr haben wollte und eine andere, die da kritischer war. Oder überwog nach wie vor die ungeteilte Meinung, daß man stark sein mußte?

Israel ist im Krieg entstanden. Es wäre vielleicht ein anderes Israel geworden, wenn es 1948 keinen Krieg gegeben hätte, wenn die Palästinenser die Teilung angenommen hätten und Israel im Frieden entstanden wäre. Israel ist im Krieg entstanden. Vom ersten Augenblick an war das Militär ganz zentral im Leben Israels, von allen akzeptiert als eine Lebensnotwendigkeit, ohne die Israel nicht existieren kann. Dann kam der Krieg von '67. Der Krieg von '67 war ein unglaublicher militärischer Sieg. Und das war ein Unglück, denn es ist immer schlimm für ein Volk und für das Militär, zu sehr zu siegen. Das lehrt ja auch die deutsche Geschichte. Man hat sich berauscht, das Militär ist unglaublich populär geworden, jeder General war ein Volksheld. Und jedes Militär verblödet nach einem zu großen Sieg. Man lernt ja nichts aus Siegen. Man lernt aus Niederlagen. Und seitdem, will ich sagen, ist das israelische Militär weniger und weniger intelligent geworden und eigentlich hat die Rolle des Militärs das politische Leben Israels mehr und mehr negativiert, meiner Ansicht nach.

Die Kluft in Israel ist bei weitem tiefer und hat mit den Grundproblemen Israels zu tun. Auf der einen Seite haben Sie beinah alle Religiösen, beinah alle Einwanderer aus orientalischen Staaten und deren Kinder und Enkel, die im Lande geboren sind, beinah alle sozio-ökonomisch niederen Schichten, alles das ist rechts und gegen den Frieden. Auf der anderen Seite haben Sie beinah alle aus europäischen Ländern stammenden Israelis, beinah alle säkularen, nicht religiösen Israelis und auch alle arabischen Bürger Israels. Und alle besser situierten, sozio-ökonomisch besser gebildeten Israelis. Es ist eine Kluft, die beinah alle Probleme Israels umfaßt und sich auf das Problem von Krieg und Frieden sehr, sehr stark auswirkt. Es gibt religiöse Wahnvorstellungen. Ich spreche von dem Kern, nicht von allen Siedlern. Die Siedlungsbewegung kommt aus dem radikalen, religiösen Milieu. Sie ist mit der Rechten in Israel verbunden. Die Siedler, das muß man dazu sagen, sind nicht populär in Israel, es ist nicht so, daß eine große Mehrheit in Israel oder auch nur die Hälfte Israels die Siedler unterstützt. Ich würde sagen, sogar auf der rechten Seite sind die Siedler nicht populär. Aber die Siedler sind da, die sind sehr stark motiviert, denn sie sind ultrareligiös und ultranationalistisch, beides, mit messianischem Eifer. Der Kern, der ideologische Kern der Siedler, und das ist heute der zentrale Feind jedes Friedens.

Die Polarisierung, die Sie gerade beschrieben haben, gibt es dafür eine Erklärung, ein Erklärungsmuster?

Es hat mehr als eine Erklärung, denn jede dieser Komponenten der beiden Lager hat eine andere Erklärung. Die Frage, warum die Leute aus orientalischen Ländern emotionell anti-arabisch sind, während Leute aus europäischen Ländern und auch deren Nachkommen im Großteil gemäßigt und mehr auf der Seite des Friedens sind, das hat soziale, soziologische Gründe, die sehr tief gehen. Es ist, ich nehme an auch in Deutschland, eine allgemeine soziale Erscheinung, daß, wenn ich zwei Völker habe, ein herrschendes Volk und ein beherrschtes Volk, sagen wir mal, wie die Türken in Deutschland, die unterste Schicht des herrschenden Volkes die allerradikalste, nationalistischste ist. Und das hat nicht nur wirtschaftliche Gründe, sondern auch psychologische Gründe. Wenn man sich im eigenen Volk verachtet fühlt oder minderwertig, dann braucht man eine nationalistische Identifizierung viel stärker als andere, das heißt, zwar tauge ich nicht, zwar verdiene ich nicht, zwar werde ich nicht mit der Verachtung fertig, aber ich gehöre dem deutschen Volke an, und das deutsche Volk ist das herrischste der Welt! Oder ich gehöre dem jüdischen Volke an, das jüdische Volk ist das herrischste der Welt. Dasselbe in Amerika. Dasselbe überall. Das ist eine Erscheinung, die es überall gibt. Sie haben gerade in diesen Schichten einen emotionellen Haß gegen die Araber und eine Verachtung für die Araber, die sehr tief geht. Und das hat noch einen weiteren Grund, der speziell israelisch ist: Leute aus arabischen Ländern, jüdische Einwanderer aus arabischen Ländern und auch deren Kinder und Enkel haben eine arabische Kultur. Sie haben sehr wenig mit Beethoven und Heinrich Heine und Goethe und Tolstoij zu tun. Ihre Musik ist arabische Musik. Ihre Sprache ist Arabisch. Die sprechen Hebräisch mit einem ganz, ganz klaren arabischen Akzent, den sie nicht loswerden können. Das Komische dabei ist, daß dieser arabische Akzent das richtige Hebräisch ist, und daß alle, die einen nicht-arabischen Akzent sprechen, falsches Hebräisch sprechen. Aber das tröstet die nicht, sondern sie fühlen, wenn sie in einem Augenblick ein Wort sagen, und dieser Akzent identifiziert wird, daß die Leute auf sie heruntergucken, daß die Leute sie verachten, weil sie araberähnlich sind. Und darum brauchen sie diese Identifizierung mit einem rabiaten israelischen Nationalismus, sie brauchen es auch, um sich abzusondern von den Arabern, die noch mehr verachtet werden und noch tiefer stehen in der israelischen Gesellschaftsskala. Und das sind Probleme, die nach einem Frieden kommen werden, die wir anpacken müssen. Das sind Grundprobleme der israelischen Gesellschaft überhaupt, es sind Gefahren, Zeitbomben innerhalb der israelischen Gesellschaft, die, solange der Krieg, der Konflikt, andauert, man unter den Teppich kehren kann. In dem Augenblick, wo der Frieden ausbricht, werden diese Probleme in den Vordergrund treten. Und ich würde sagen: Gott sei Dank, denn dann werden wir anfangen, uns damit auseinanderzusetzen und dafür Lösungen zu finden.

Würden Sie das als einen der zentralen Konflikte der Zukunft bezeichnen?

Vielleicht das zentralste überhaupt. Das zweite zentrale Problem, das eng damit verbunden ist, aber was anderes ist, ist der Konflikt zwischen den religiösen und den weltlichen, säkularen Israelis. Das ist ein Problem, dem man auch nicht für eine Stunde in Israel aus dem Wege gehen kann, denn wegen den Religiösen haben wir keine Autobusse und Eisenbahn am Samstag, am Sabbat, wir dürfen offiziell kein Schweinefleisch essen, obwohl wir es alle tun. Wir haben keine Flugverbindung mit der EL AL am Sabbat. Wir haben keine Zivilehe in Israel, keine Zivilscheidung und Tausende von anderen Sachen, die uns die Religiösen aufzwingen, und zwar durch ihre politische Macht als begehrte Koalitionspartner für alle. Und diese Religiösen entwickeln die jüdische Religion hier im Lande in einer Richtung, die man früher gar nicht gekannt hat. Die jüdische Religion hier in Israel ist eine Mutation, die sehr verschieden ist von dem, was man in Deutschland als jüdische Religion betrachtet hat, zur Zeit meiner Eltern und Großeltern. Es ist eine messianische, nationalistische Religion, die mit Moral und Moralität überhaupt nichts mehr zu tun hat, die sich als die Vorposten der nationalen Erhebung betrachtet, die prinzipiell jeden Frieden mit den Arabern ablehnt und manchmal zu extremen Äußerungen kommen, die eigentlich unglaublich sind. Es gibt ja Teile dieser Bewegung, die den politischen Massenmord begünstigen und sich offen dafür aussprechen. Dieser Mörder in Hebron, der 30 Palästinenser beim Gebet in der Moschee umgebracht hat, Goldstein, wird verehrt von Teilen dieser religiösen Bewegung und sein Grabmal ist heute ein Wallfahrtsort. Es ist kein Zufall, daß der Mörder von Yitzak Rabin aus diesem Milieu kommt, in diesen Schulen, in der religiösen Universität erzogen worden ist, zur Siedlerbewegung gehört hat, denn die Rabbiner haben Rabin offiziell in einem religiösen Urteil als Verräter definiert und nach der jüdischen Religion muß ein Verräter getötet werden. Das ist ein religiöses Gebot. Und diese ganzen Sachen, dieser Komplex des Religiösen in Israel und die Beziehung zwischen dieser Art Religion und Staat, das sind ungelöste Probleme, die auch unter den Teppich gekehrt worden sind, die im Frieden gelöst werden müssen. Vielleicht ist das auch ein weiterer Grund, warum die ganze religiöse Gemeinschaft hier in Israel gegen den Frieden ist. Denn im Frieden werden sie es schwerer haben, als sie es bis jetzt gehabt haben. Der Frieden öffnet Israel zur Welt, der Krieg, das Militär, das Besonders-Sein und Allein-Sein wird in den Hintergrund treten und Israel wird weltoffener sein. Und alles, die technologische Kultur, die heute schon in Israel stark eindringt, wird bei weitem verstärkt werden, und die Religiösen sehen darin eine Gefahr für das, was sie wollen.

Friedensbewegung, Stichwort. Wann ist die Friedensbewegung entstanden, bzw. wann hat sie sich verbreitet? Hat es so etwas wie eine auf breiter Ebene entstehende Friedensbewegung gegeben, und was waren wohl die Hauptursachen dafür?

Die Frage ist, was man als Friedensbewegung bezeichnet, denn zum Beispiel die Partei, die ich 1965 gegründet habe, war eine Partei, für die der Frieden im Mittelpunkt stand. Eine außerparlamentarische Friedensbewegung per se ist entstanden 1978, und zwar auf dem Hintergrund der Friedensverhandlungen mit Ägypten. Nach dem Besuch von Sadat in Jerusalem hatte man den Eindruck, daß Begin nicht gut und schnell genug reagiert, die Verhandlungen verschleppen sich, der Schwung geht verloren, da entstand eine Gruppe von typischen Armee-Offizieren, Reserveoffiziren, die eine Bewegung gegründet haben, die bekannt wurde unter dem Namen Friede jetzt, Shalom arshav, Peace now, und die ist dann in der Welt bekannt geworden. Das war eine komische Bewegung, denn die hat keine Mitglieder, auch keine wirklichen Institutionen. Es ist so eine Bewegung, unter deren Namen die verschiedensten politischen Bewegungen zusammen demonstrieren konnten, zusammen Aktionen machen konnten, die war mehr oder weniger für alle akzeptabel. Meine Freunde und ich haben auch mitgemacht. Das war eine Bewegung, die aufgeflackert ist und dann wieder verschwunden ist. Sie kam zuerst auf bis zu dem Frieden mit den Ägyptern, dann ist sie eingeschlafen, mehr oder weniger. Dann, als der Libanonkrieg ausgebrochen ist, 1982, entstand sie wieder, aber nicht am Anfang. Am Anfang haben meine Freunde und ich am ersten Tag, am fünften Tag und am 14. Tag des Krieges gegen den Krieg demonstriert, das war zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte Israels, daß man gegen einen Krieg demonstriert, während der Krieg noch im Gange ist, das war neu. Und in der dritten Kriegswoche, als die Stimmung schon umgeschlagen ist, hat sich "Frieden jetzt" der Sache angenommen, und machte große Demonstrationen. Die Kulmination war natürlich die Riesendemonstration nach dem Massaker von Sabra und Schatila im August '82, als praktisch alle Friedensbewegungen im Lande mitgemacht haben unter dem Schild von "Peace now".

Das Unglück mit "Peace Now, Frieden Jetzt" ist, daß sie sich so mit der Arbeiterpartei und der Meretz-Partei identifiziert und auch abhängig ist von diesen beiden Parteien, so daß nach `92, nachdem Rabin mit der Arbeiterpartei und der Meretz- Partei an die Macht gekommen ist, Peace Now praktisch alle Aktionen eingestellt hat. Die demonstrierte nicht mehr, sie protestierte nicht mehr, sie sagte, man darf gegen die Regierung nichts unternehmen, denn die Regierung ist die beste, die wir haben können, und darum müssen wir die unterstützten, auch wenn sie schlechte Sachen anstellt, sonst helfen wir den Rechten, die noch viel schlimmer sind. Und praktisch hat sie jede politische Aktion eingestellt. Und das hat uns gezwungen, Ende '92, eine neue Bewegung aufzustellen, um gegen die Aktionen der Regierung zu protestieren, falls nötig. Es fing damit an, daß Rabin 415 islamische Sympathisanten und Aktivisten nach Libanon deportiert hat und die vegetierten ein Jahr lang im Niemandsland zwischen den beiden Armeen. Wir haben dann spontan ein Protestzelt errichtet gegenüber dem Ministerpräsidentenamt in Jerusalem, und in diesem Zelt haben wir 45 Tage und Nächte gewohnt, es war Winter, und es war einer der wenig schönen Winter in Jerusalem, wo man Schnee hat, und wir, eine Gruppe von Arabern, israelischen Arabern und jüdischen Israelis, darunter auch islamische Fundamentalisten, haben dort zusammen gelebt, und das war ein interessantes Erlebnis. Nach der Zeltaktion haben wir beschlossen, daß das so nicht weitergehen kann, wir brauchen eine neue Organisation, die gegen solche Sachen protestieren kann, und so haben wir eine Bewegung gegründet, die heißt "Gush shalom, Friedensblock", die seitdem sehr aktiv ist, viele Dutzende von Demonstrationen gemacht hat, andere Protestaktionen und auch beinah wöchentlich weitermacht.

Sie haben gesagt: Die gegenseitige Akzeptanz ist die notwendige Voraussetzung dafür, daß die Israelis die Palästinenser und die Palästinenser die Israelis anerkennen. Das entspricht ja praktisch auch der Forderun: zwei Staaten für zwei Völker. Ich möchte noch mal zurückkommen auf die 70er Jahre, wo Sie ja in dieser Richtung aktiv geworden sind. Was haben Sie da genau gemacht, um für diese Losung zu werben, und wie sind Sie von der palästinensischen Seite empfangen worden, wie ist da der Kontakt gewesen?

1973 brach der Jom-Kippur-Krieg aus und direkt nach dem Jom-Kippur-Krieg hat ein wichtiger PLO-Funktionär, der Delegierte in London, einen Artikel in der London Times veröffentlicht, der mehr oder weniger meiner Meinung entsprach. Und als mir klar war, daß so ein Artikel nicht veröffentlicht werden kann von so einem Mann, ohne daß er von Arafat diktiert ist, war mir klar, daß hier eine Wende im Gang ist in der PLO-Führung. Durch Freunde habe ich mit diesem Mann Fühlung aufgenommen, wir haben uns dann ein paar Monate lang geheim in London getroffen. Wir haben ausgemacht unter uns, daß wir die Kontakte zwar geheimhalten werden, daß wir aber unsere jeweiligen Regierungen darüber verständigen, es war klar, daß er sowieso im Auftrag von Arafat handelt. Ich bin dann zu Rabin gegangen, der damals Ministerpräsident war. Er hat mich auch sehr freundlich empfangen. Ich habe ihn unterrichtet, daß hier Kontakte im Gange sind und eine lange Diskussion mit ihm gehabt über den Zweck und Sinn einer Verhandlung mit den Palästinensern. Er war absolut dagegen und hat mir auch erklärt, warum. Aber am Ende dieses Gespräches hat er mir – für ihn sehr typisch – gesagt: Ich bin dagegen, daß Sie diese Kontakte pflegen, aber ich verbiete sie nicht. Sie können sich mit Leuten treffen, wie Sie wollen. Und wenn Sie glauben, daß Sie etwas erfahren, was ich als Ministerpräsident wissen sollte, dann ist meine Tür für Sie immer offen. Und so war es auch. Ich habe dann einige Male Botschaften von Arafat nach Rabin gebracht, und darum haben wir sehr oft über das Palästina-Problem diskutiert. Er war dagegen. Er hat mir immer erklärt, warum. Es hat für mich immer sehr unlogisch geklungen, was er da gesagt hat, obwohl Rabin im Grunde ein sehr logischer Mensch war. Diese Erklärungen waren für mich unlogisch. Es ist auch nichts dabei herausgekommen.

Aber ich habe dann mit meinen Freunden einen israelischen Rat für israelischen Frieden aufgestellt, und mit dem hat dann die PLO offiziell Kontakt aufgenommen, es wurde dann öffentlich. Und wir haben uns regulär mit PLO-Funktionären in Paris, London und Wien getroffen, bis zu dem Libanon-Krieg von 1982. Während des Libanon-Krieges, in der dritten Woche des Krieges, als ganz Beírut belagert war, habe ich die Front überquert und habe mich zum ersten Mal mit Yassir Arafat selbst im belagerten Beirut getroffen, das hat sehr viel Erregung hervorgerufen in Israel. Drei Kabinettsmitglieder haben verlangt, daß ich wegen Hochverrat vor Gericht gestellt werde. Es gab auch eine offizielle Untersuchung, aber es ist nichts dabei herausgekommen. Und seitdem habe ich eine sehr enge Beziehung mit Yassir Arafat. Ich war viele Male in Tunis bei ihm, vor und auch nach Oslo.

Wie hat denn die israelische Bevölkerung, oder besser gesagt die israelische Öffentlichkeit, auf Ihre Kontakte zur PLO reagiert?

Sehen Sie, diese Kontakte hatten mehrere Zwecke. Eines der Zwecke war, die israelische Bevölkerung darauf vorzubereiten, daß Verhandlungen mit der PLO in Israel zustande kommen werden. Das heißt, Arafat, der damals verteufelt wurde, dämonisiert wurde, der israelischen Öffentlichkeit näher zu bringen. Noch am selben Tag, als ich mich in Beirut zum ersten Male mit Arafat getroffen habe, wurde während der Begegnung eine Videokassette von einem deutschen Fernsehteam gemacht. Ich habe sie mit nach Hause genommen, und die wurde noch am selben Abend im israelischen Fernsehen ausgestrahlt. In dem Augenblick, wo man gesehen hat, daß Arafat mit einem israelischen Politiker zusammensitzt, wurde er schon entdämonisiert: Wenn der Mann Israel vernichten will und alle Juden umbringen will, warum sitzt er mit einem israelischen Politiker zusammen und spricht mit ihm, und hat ein offizielles Gespräch, das er auch veröffentlicht.

Wir machten eine offizielle Delegation nach Tunis Anfang 1983, und das haben wir fotografiert. Da war Arafat, auf der einen Seite ein ehemaliger General der israelischen Armee, auf der anderen Seite ein ehemaliges Mitglied der israelischen Knesset. Das wurde in der ganzen Welt veröffentlicht, auch in Israel und in der arabischen Welt. Wie kann man glauben, daß Arafat ein Antisemit ist und Israel vernichten und die Juden ins Meer werfen will, wenn er sich mit einem israelischen General und mit einem israelischen Parlamentsabgeordneten unterhält? Und dasselbe auf der anderen Seite, das war erzieherisch und wichtig für die Palästinenser, denn wenn der große Wortführer zwischen einem israelischen General und einem israelischen Parlamentsabgeordneten sitzt und sich mit ihnen unterhält, dann heißt das, daß nicht alle Israelis Teufel sind und daß es verschiedene Arten von Israelis gibt. Vielleicht gibt es Israelis, mit denen man sprechen kann. Und so hat sich das langsam, im Laufe der Zeit, aufgelockert, und das war eins der Zwecke dieses Dialoges. Der Dialog war auch an sich wichtig, denn ich habe oft und ausführlich darüber in meiner Zeitung, in anderen Zeitungen und im Radio und Fernsehen berichtet, und auch arabische Zeitungen haben das mitaufgenommen. Ich will nicht sagen, daß der Dialog zu einem gegenseitigen Verständnis geführt hat, denn Verständnis ist ein sehr gewagtes Wort und führt sehr weit. Aber ich will sagen, daß die Israelis angefangen haben, die palästinensische Führung nicht mehr nur als eine monolitische Mörderbande anzusehen, sondern zumindest als eine politische Organisation mit verschiedenen Strömungen, mit verschiedenen Ansichten. Warum glauben die Leute, was sie glauben, welche Hoffnungen haben sie, welche Assoziationen, welche Ängste, welche Vorurteile, und dasselbe auf der anderen Seite. Es war sehr wichtig zu versuchen, den Palästinensern beizubringen, was für uns der Holocaust bedeutet. Für Palästinenser ist das ziemlich unverständlich, die Palästinenser glauben, die Israelis haben den Holocaust erfunden oder manipulieren ihn zumindest, um Palästinenser zu vertreiben. Dieses gegenseitige Verständnis ist absolut wichtig, um zu einem politischen Verständnis zu kommen.

Inwieweit haben sich neben diesen offiziellen Kontakten mit Palästinensern auch für Sie ganz persönliche Beziehungen zu Palästinensern entwickelt?

Es kam zu sehr engen freundschaftlichen Beziehungen zu einigen Palästinensern. Ich selbst war ganz besonders befreundet mit den beiden Leuten, mit denen ich zuerst Kontakt aufgenommen habe, mit Said Hammami in London und Issam Sartawi in Paris. Beide sind dann von palästinensischen Extremisten ermordet worden und beide waren im Laufe der Jahre mir so nah wie Brüder. Denn wir haben dieselben Sachen durchgemacht, dieselben Risiken übernommen und waren in denselben Gefahrsituationen und haben dieselben Hoffnungen gehegt. Manchmal fühlten wir, daß wir nicht mehr Palästinenser und Israeli sind, die miteinander eine Art Verhandlung führen, sondern daß wir zusammen in einem Lager sind, vis-à-vis in Fühlung mit beiden Seiten. Diese Art Sozialisation gab es immer, denn wir fühlten uns gemeinsam verantwortlich für unseren Erfolg auf beiden Seiten, das heißt das ist eine grundsätzliche Situation, die heute noch besteht, daß israelische Friedensaktivisten sich verpflichtet fühlen, alles zu tun, um ihren palästinensischen Kollegen zu helfen, im palästinensischen Volk Einfluß zu gewinnen und vice versa es unseren palästinensischen Partnern klar war, daß es von den Palästinensern abhängt, wieviel Einfluß wir in Israel haben, und daß das es in der Sache, im Kampf für den Frieden zwei verschiedene Fronten gibt.

Die eine Front ist zwischen Israelis und Palästinensern, die andere Front ist zwischen den Friedensleuten auf beiden Seiten gegenüber den Friedensfeinden auf beiden Seiten. Im Grunde weiß man heute, daß Rabin und Arafat in einem Lager waren gegenüber den Fundamentalisten und Friedensfeinden auf beiden Seiten. Der Mann, der Rabin umgebracht hat, der hätte auch Arafat umbringen können und vice versa. Für Rabin selbst hat es einige Zeit gedauert, bis er das nicht nur begriffen, sondern auch verinnerlicht hat. Am Anfang sah man ihm direkt an, daß er es sehr schwer hatte, Arafat überhaupt die Hand zu geben. Am Ende hat er Arafat mit Respekt und Achtung behandelt und im Gehirn von Rabin haben sich Sachen vollzogen, die äußerst interessant sind, denn man muß sich doch fragen: Warum haben es die Israelis so schwer, mit Palästinensern umzugehen? Warum ist es für Israelis leichter, sich mit König Hussein zu unterhalten, ihn zu umarmen? Sogar über Assad in Syrien sprechen wir im Allgemeinen mit weit größerer Achtung als über Arafat und über Palästinenser. Assad ist ein ziemlich übler Geselle. Er hat 20.000 seiner eigenen Untertanen umgebracht, als es eine Revolte in einer syrischen Stadt gab.

Wir haben hier ein Problem, das bei weitem tiefer geht als die Politik. Wir haben ein Problem damit – und damit beschäftige ich mich schon die letzten 50 Jahre –, die Palästinenser nicht nur als Volk, sondern als Menschen anzuerkennen. Wenn man anerkennt, daß es ein palästinensisches Volk gibt, – und dann hat es das ja auch gegeben, als wir ins Land kamen -, dann muß man die zionistische Geschichte der letzten 100 Jahre anders betrachten als die offiziellen Mythen es besagen. Da muß man anders betrachten, nicht nur, was 1948 passiert ist, sondern auch, was 1905 und 1882 passiert ist. Das heißt also, die ganze zionistische Geschichte zu revidieren und neu zu schreiben. Und das ist ein schmerzlicher Vorgang. Es ist für die Amerikaner ein sehr schmerzlicher Vorgang, wenn die heute anfangen zu begreifen, daß der wunderbare liberale, demokratische amerikanische Staat auf einem Völkermord aufgebaut ist. Und daß sie ganze Nationen umgebracht haben. Bei uns war es nicht so schlimm, aber anzuerkennen, daß dieses Land nicht leer war, daß wir ein anderes Volk, das hier im Lande gelebt hat, verdrängt haben, das ist für Zionisten sehr, sehr schwer. Und daher kommt diese ewige Verdrängung und Verleugnung: Es war ja gar nicht so, das Land war leer, es gab überhaupt keine Palästinenser, es gibt kein palästinensisches Volk, diese Leute sind nach uns eingewandert, und all diese unsinnigen Mythen, die hier rumspuken. Ich muß etwas zugunsten von Yitzak Rabin sagen. Rabin, der ein typischer Zionist war, ist in einem ganz orthodox-zionistischen Haushalt aufgewachsen, beide Eltern waren zionistische Aktivisten. Nachdem er sich überwunden und mit Arafat Frieden gemacht hat und ihm die Hand gegeben hat, hat bei ihm das Gehirn weitergearbeitet, das wissen sehr wenige Leute. Rabin hat einen Monat vor seiner Ermordung in einer Knesset-Rede einen Satz ausgesprochen, der überhaupt nicht beachtet worden ist: "Wir sind nicht in ein leeres Land gekommen." Als Begründung für seinen letzten Vertrag mit Arafat. Das war so ein ketzerischer und revolutionärer Ausspruch, daß man sich das überhaupt nicht vorstellen kann. Rabin hat eben diese Ehrlichkeit gehabt, daß er die Konsequenz seiner eigenen Aktion untersucht hat und weitergegangen ist. Wenn er am Leben geblieben wäre, wäre er wahrscheinlich noch ein paar Schritte weitergekommen. Sehr viele Israelis haben es auch heute noch sehr schwer, sich mit diesen historischen Fakten abzufinden, und leugnen sie heute noch. Und darum geht es so schwer mit diesem Frieden vorwärts, denn man kann Verträge unterzeichnen, aber die Mentalität der Leute ändert sich nicht so schnell, und ganz besonders bei den Leuten, die diese Verhandlungen führen. Die sind beinahe alle Militärs sind und haben ihr ganzes Leben lang nur eins gelernt, nämlich gegen die Palästinenser zu kämpfen. Diese Leute haben es sehr schwer, die Palästinenser überhaupt mit Respekt zu betrachten, einen neuen Stil einzuführen. Sie sehen es ja an diesen Straßensperren überall zwischen Israel und Palästina, wie die Soldaten die Palästinenser behandeln, als wären sie, – ich will nicht das schöne deutsche Wort "Untermenschen" benutzen –, aber als wären sie minderwertige Menschen. Sie sehen, blutjunge Soldaten von 18 Jahren behandeln 70jährige würdige alte Palästinenser, als wären sie Dreck.

Sie haben mit Ihren Überzeugungen ja lange zu einer politischen Minderheit hier in Israel gehört. Was hat Ihnen denn die Stärke gegeben, das durchzuhalten?

Als ich mal in meiner Geburtsstadt war, in Beckum, hat man lobend gesagt, das wäre meine westfälische Dickköpfigkeit. Die haben das für sich beansprucht. Für mich war es immer selbstverständlich, daß das, was ich sage, stimmt. Nicht, weil ich egomanisch bin, vielleicht bin ich es, weiß nicht, aber es war mir ganz einfach selbstverständlich, was ich sage, ist so selbstverständlich wie 2 plus 2. Es gibt im Lande zwei Völker, und keins von den beiden Völkern wird weggehen. Die beiden sind da. Und wenn die beiden Völker in diesem Lande leben, zwei sehr, sehr nationalistische Völker, dann ist die Auswahl der Lösungen sehr klein, und im Grunde gibt es überhaupt nur eine Lösung, das sind zwei Staaten. Das war mir immer so selbstverständlich, daß es mir überhaupt schwer war zu begreifen, wie jemand es nicht begreifen kann. Und leider haben es die Leute nur begriffen, nachdem alle anderen Optionen kaputt gegangen sind. Man hat die richtige Lösung erst aufgegriffen, nachdem alle anderen Lösungen erschöpft waren. Man hat ja alles versucht. Aber das Logische hat gesiegt. Ganz einfach. Natürlich ist es nicht rational, in der Politik das Irrationale zu ignorieren, das Irrationale spielt eine gewaltige Rolle im Leben der Völker, und vielleicht bei uns noch mehr als anderswo. Aber am Ende siegt die Logik, denn man braucht eine Lösung. Und man kann noch zehn Kriege führen, und noch zehn Intifadas haben, am Ende wird man doch zur selben Lösung kommen.

Haben Sie ein persönliches Vorbild?

Daß eine Persönlichkeit mir als Vorbild dient, kann ich nicht sagen. Aber ich habe Geschichte gelernt und es gibt in der Geschichte sehr viele Vorbilder, von denen man dies oder das lernen kann. Man kann lernen von Churchill, wie man den schlimmsten Situationen standhält, man kann von Bismarck lernen, daß man im Augenblick des Sieges daran denken muß, den Sieg nicht zu mißbrauchen, denn sonst führt er zu einem neuen Krieg. Und so kann man von sehr vielen Leuten lernen in der Geschichte. Ich glaube, Bismarck hat das gesagt: Ein Dummkopf, ein dummer Mensch, lernt aus seiner eigenen Erfahrung, kluge Leute lernen aus der Erfahrung anderer. Und ich glaube, wenn man Geschichte liest, kann man sehr viel lernen, wenn man will.

Wie bewerten Sie Ihre persönliche Rolle, die Sie gespielt haben, und wie hat Ihr engstes persönliches Umfeld auf Ihr Engagement reagiert?

Bei dieser Art Aktivität ist es sehr schwer, Einfluß zu quantifizieren. Das ist ganz unmöglich, denn wenn man jahrzehntelang eine Idee vertritt und sie durch unendliches Schreiben und Reden propagiert und durch Aktionen demonstriert, dann beeinflußt man die Geister der Menschen auf eine Art, die man nicht nachweisen kann. Man lebt einfach im Bewußtsein, Sachen, die man sagt, dringen in das Bewußtsein von Menschen ein. Das führt dazu, daß Menschen Sachen tun, die sie früher nicht getan hätten. Schimon Peres schreibt heute schöne Artikel und hält schöne Reden über den neuen Nahen Osten. Ich habe im Oktober '48, als Soldat zwischen den Kämpfen, einen Artikel geschrieben über die Zukunft dieser Region, und das ist beinah wörtlich das, was heute Schimon Peres als seine neue Vision verkündet. Wer hat auf wen Einfluß gehabt? Das ist immer sehr, sehr schwer zu sagen.

Was meine eigene Umgebung betrifft: Ich habe Glück, daß ich mit einer Frau lebe, die schon seit 40 Jahren meine Ansichten teilt und mich immer unterstützt hat und neben mir auch selbständig in die gleiche Richtung wirkt. Und da habe ich nie zu Hause Schwierigkeiten gehabt. Wir haben keine Kinder gewollt und keine Familie aufgebaut, weil wir wußten, daß wir nicht das machen können, was wir wollen, wenn wir ein normales Familienleben haben. Wir haben nie ein normales Familienleben gehabt. Meine Mutter ist im Alter von 95 gestorben, und meine Mutter hat in der Zeitung gelesen, daß ich mich mit Arafat getroffen habe in Beirut, da war sie so entsetzt, daß sie mich offiziell enterbt hat. Das ist dann später mal veröffentlicht worden. Es war kein großes Erbe und wir haben uns wieder versöhnt, aber für viele Leute, die mir auch nahestanden, war das sehr oft unverständlich, was ich tue. Das ist eben ein Preis, den man bezahlen muß. Das ist klar. Aber wenn heute auf der Straße Leute mich anhalten und mir sagen, Sie haben ja doch Recht gehabt, dann ist das eine gewisse Genugtuung, obwohl ich heute genauso in der Opposition stehe wie immer. Aber wenn ich betrachte, wie diese Idee vor 25 Jahren total isoliert war in der ganzen Welt, und kein Mensch dafür war, und wenn diese Idee heute praktisch von der ganzen Welt als einzige Lösung akzeptiert wird, dann muß ich sagen, daß man eine Genugtuung haben kann. Auch wenn man sich nicht zur Ruhe setzen will, sondern sich sagt: Gerade jetzt sind wir in einer sehr, sehr kritischen Phase, denn je näher wir dem Frieden kommen, je mehr wird sich der Widerstand gegen den Frieden verhärten. Auf beiden Seiten. Die Siedler sehen den Frieden als eine existentielle Gefahr für sich, mit Recht. Die islamischen Fundamentalisten sehen darin eine Sünde gegen Allah. Je näher wir dem Ziel kommen, desto gefährlicher wird dieser Widerstand werden, und darum können wir uns nicht zur Ruhe setzen. Wir müssen einfach auf der Wacht sein.

Ich möchte noch mal auf die Intifada zu sprechen kommen. Sie haben ja schon gesagt, daß Sie sie sozusagen vorausgesehen haben, in dieser Form. Was hat das für die Bevölkerung in Israel letztendlich bewirkt, und was war das Neue an der Auseinandersetzung?

Ich habe vorhin gesagt, daß der Jom-Kippur-Krieg für Araber und Israelis äußerst wichtig war, um überhaupt eine Gesinnung für den Frieden zu erzeugen. Oder sagen wir umgedreht: eine Enttäuschung vom Krieg als Mittel zu einer Lösung. Die Intifada hat dasselbe bewirkt zwischen uns und den Palästinensern. Wir wären ohne die Intifada nicht zu Oslo gekommen und nicht zur gegenseitigen Anerkennung. Auf der palästinensischen Seite war die Intifada absolut nötig, denn ein Volk, das keine Selbstachtung hat, kann keinen Frieden machen. Das ist kein Partner für den Frieden. Die Intifada hat den Palästinensern den Stolz, die Selbstachtung nach vielen Jahren militärischer Besetzung wiedergegeben, und von der palästinensischen Seite aus gesehen war die Intifada ja auch ein gewaltiger Vorgang. 1.500 Palästinenser sind getötet worden während der Intifada, Zehntausende sind verwundet worden und Invaliden geblieben. Es war ein Volksaufstand, an dem das ganze Volk mit teilgenommen hat. Für das palästinensische Bewußtsein war das absolut wichtig, um zu einem Frieden zu kommen. Für die Israelis war das ungeheuer wichtig, denn es hat sehr, sehr, sehr viele Israelis zu der Erkenntnis gebracht, daß wir eine Lösung brauchen. Mit den Palästinensern. Man begreift oft nicht, wie das passiert ist. Was in Wirklichkeit passiert ist.

Die israelische Armee ist hauptsächlich eine Reservearmee. Das heißt, daß Hunderttausende von Israelis im Laufe der Intifada in den besetzten Gebieten als Soldaten gedient haben. Das heißt, daß ein Mensch wie Sie an einem Tag Ihren Beruf ausüben und am nächsten Tag in Uniform stecken und plötzlich finden Sie sich mitten im Menschengewühl von Gaza oder Ramalla oder Nablus wieder, von Kindern mit Steinen beworfen, von Frauen bespuckt, von Alten verflucht, von bewaffneten Kämpfern bedroht. Entweder haben Sie geschossen oder nicht, vielleicht haben Sie jemand umgebracht, mit Vorbedacht oder ohne Vorbedacht, vielleicht mußten Sie auf Kinder schießen. Einen Monat im Jahr und dann nächstes Jahr wieder und das dritte Jahr wieder. Das wurde den Leuten ganz einfach zu bunt, die Leute wollten eine Lösung, die Leute wußten ganz einfach, daß es Palästinenser gibt. Dieser alte Mythos, daß es überhaupt keine Palästinenser gibt – die sahen sich einem Volk gegenüber. Sie sahen, daß das so nicht weitergeht. Wir brauchen eine Lösung. Besonders in Gaza, aber auch anderswo. Und diese Volksstimmung – wir brauchen eine Lösung – war überhaupt die Grundlage für den Friedensprozeß. Die Leute bei uns in Israel sind nicht plötzlich friedensliebend oder araberfreundlich geworden, sondern sind kriegsmüde geworden. Kriegsmüde, Intifada-müde, sie wollten eine Lösung. Rabin, der ehemalige Generalstabschef, der Soldat durch und durch, ein Mann, der sein ganzes Leben lang mit Sicherheit beschäftigt war, repräsentierte eben diese Einsicht, daß das so nicht weitergeht. Wir brauchen eine Lösung. Und das ist einfach die einzige Lösung, die es noch gibt. Und das ist vom Volk akzeptiert worden, und wird auch heute noch vom Volk akzeptiert. Die Stimmung im Lande heute ist Trennung. Das Hauptwort der hebräischen Sprache in diesem Augenblick ist Trennung. Trennung heißt, wir wollen in unserem eigenen Staat leben. Wir haben in den besetzten Gebieten nichts zu suchen. Und die Palästinenser sollen in ihren eigenen Gebieten machen, was sie wollen. Wenn sie einen Staat haben wollen, dann sollen sie um Gottes Willen einen Staat haben. Und das ist heute vom großen Teil der israelischen Bevölkerung akzeptiert, bewußt, halbbewußt, unterbewußt. Die Frage heute, würde ich sagen, ist gar nicht mehr wirklich, soll es einen Palästina-Staat geben oder nicht? Ich glaube, diesen Kampf haben wir schon gewonnen. Ich würde sagen, sogar einen Kompromiß in Jerusalem. Der wirkliche Kampf wird morgen sein über die Siedlungen. Wo werden die Grenzen sein zwischen Palästina und Israel und wird Israel Siedlungsgebiete in Palästina annektieren, um die Siedlungen für Israel zu behalten. Das ist der Kampf, den wir morgen bestehen werden. Und doch ist das schon ein ganz gewaltiger Fortschritt, denn ich erinnere mich noch sehr gut an hunderte von Diskussionen, kreuz und quer durch Israel: Es gibt keine Palästinenser, das Land gehört uns. Ich glaube nicht an Gott, aber Gott hat uns dieses Land versprochen. Man hat mir im Parlament gesagt, Uri Avnery hat das palästinensische Volk erfunden. Diese alten Diskussionen sind heute schon beinah lächerlich. Das sind für mich schon beinahe humoristische Erinnerungen.

Was für einen Frieden wird Israel bekommen, und was für einen Frieden werden die Palästinenser bekommen?

Ich warne vor einem falschen Frieden. Ich habe vor kurzem einen kleinen Artikel geschrieben mit einer Überschrift, die jedem Deutschen verständlich ist, und zwar: Denk' an Versailles. Der Versailler Vertrag war ein Unglück, nicht nur für Deutschland, sondern auch für ganz Europa. Der Versailler Vertrag hat mit daran gewirkt, daß Hitler an die Macht gekommen ist. Er hat einen neuen Weltkrieg entfacht mit 20 Mio. Toten. Wir können den Palästinensern heute einen Frieden aufzwingen, den die Palästinenser nicht akzeptieren können. Einen Frieden, der den Palästinensern keine souveränen Rechte in Jerusalem gibt, wird nie wirklich von den Palästinensern und von den Arabern überhaupt wirklich akzeptiert werden. Und darum sage ich: Bitte, laßt uns einen Frieden machen, keinen billigen Frieden, einen teuren Frieden, aber einen Frieden, von dem beide Seiten so zufrieden sind, nicht hundertprozentig, aber so zufrieden sind, daß wir damit leben können und uns anderen Sachen zuwenden können. Und so ein Frieden heißt: ein selbständiger palästinensischer Staat neben Israel in den ganzen besetzten Gebieten. Nicht versuchen, ein paar Hektar hier, ein paar Hektar dort noch im letzten Augenblick wegzureißen. Jerusalem muß die Hauptstadt der beiden Staaten werden. Ein Palästina-Staat ohne eine Hauptstadt in Jerusalem ist undenkbar. Und es gibt praktische Lösungen. Die Siedlungen müssen weg, wir können keine israelischen Siedlungen in einem arabischen Staat Palästina haben. Wir brauchen wahrscheinlich ein Wirtschaftsabkommen, ein Sicherheitsabkommen und viele andere Abkommen, die am Ende, hoffe ich und glaube ich, dazu führen werden, daß wir in dieser Region einen Zustand haben werden wie heute in der Europäischen Union. Einen gemeinsamen Markt, ein gemeinsames Sicherheitsbündnis, eine gemeinsame Politik mit allen Schwierigkeiten, die Sie ja auch in Europa haben. Ich bin ganz sicher, daß wir dazu kommen werden. Ich war immer optimistisch. Ich bin heute optimistisch. Und nicht nur, weil ich so geboren bin, sondern ganz einfach, weil ich überzeugt bin, daß diese Lösung zustande kommen wird, weil es eben die einzige reale Lösung ist. Die Alternative ist viel zu schrecklich, als daß sie jemand akzeptieren kann. Ich habe in Deutschland sehr oft Vorträge gehalten und nach jedem meiner Vorträge hat der Veranstaltungsleiter, wer immer es auch war, etwas gelächelt, und gesagt: Ja, wir wissen ja, daß Herr Avnery sehr optimistisch ist. So halb-ironisch und halb lächelnd, halb so, als ob er sagen wollte, Herr Avnery hinkt etwas oder Herrn Avnery fehlt ein Finger an einer Hand. Ich bin optimistisch, weil ich ganz sicher bin, daß auch der allerschlimmste Friedensgegner am Ende zu dieser Lösung kommen wird.

Welche Auswirkungen wird der Frieden für Sie persönlich und für die israelische Gesellschaft haben?

In dem Augenblick, in dem wir zu einem wirklichen Frieden kommen – und ich meine mit wirklichen Frieden einen wirklichen Friedensvertrag mit dem Staat Palästina und mit allen anderen arabischen Staaten einschließlich Syrien und Irak – fängt ein neues Kapitel für Israel an. Ich würde sagen, der wirkliche Staat Israel wird dann erst entstehen. Denn dieser Staat, der im Krieg entstanden ist und so viele kriegerische Merkmale hat, hat unsere nationalen Ressourcen, hat alles, was wir haben, aufgezehrt und für sich beansprucht. In dem Augenblick, wo wir im Frieden leben und unser Militär auf eine normale Dimension reduzieren können, ohne unsere Sicherheit zu gefährden, in dem Augenblick werden sich unsere Talente und alles, was wir haben, ganz anderen Zwecken zuwenden, technologischen Zwecken. Wir haben eine wunderbare Wissenschaft in Israel, wir haben wunderbare technologische Fähigkeiten, die alle für den Krieg vergeudet werden. Und wir werden ein anderer Staat sein, wir werden ganz sicher eine wichtige Rolle in dieser Region und auch in der Welt ausfüllen können. Wir werden einer Masse von Problemen gegenüberstehen, die wir bisher versucht haben zu verdrängen. Wir haben das Problem zwischen europäischen und orientalischen Israelis, wir haben das Problem von Religion und Staat, wir haben wirtschaftliche Probleme. Wir haben soziale Probleme, mit denen wir uns auseinandersetzen werden, in dem Augenblick, wo es zu einem Frieden kommt. Ich bin auch im Hinblick auf den Staat Israel äußerst optimistisch. Ich glaube, wir werden uns als ein normaler Staat in dieser Region eingliedern und wir werden uns entwickeln, so gut wir können. Und wie Israel im Frieden, in 50 Jahren, aussehen wird, kann keiner auch nur vorausahnen, denn in Israel sind so viele Möglichkeiten da, in jeder Beziehung, daß alles offen ist. Und das ist ja das Schöne an einem Land, an einer Gesellschaft wie Israel, daß alles im Grunde offen ist, daß jeder Mensch mit Recht spüren kann, daß er die Entwicklung beeinflussen kann. Daß das, was er tut, wichtig ist. Und ich glaube, das ist ein Gefühl, das man in vielen Ländern der Welt verloren hat. Ich weiß nicht, ob das in Deutschland noch existiert. In Amerika ganz sicher nicht.

Ich möchte jetzt noch auf den Umgang mit den eigenen Utopien zu sprechen kommen, mit den Wertvorstellungen, Idealen, die man in seinem Leben im Kopf mit sich herumträgt. Inwieweit fühlen Sie sich von dieser Utopie des Zionismus beeinflußt, daß praktisch die Herausführung der Juden aus Osteuropa, aus dieser Unterdrückung, in einen eigenen Staat, in dem man von der eigenen Hände Arbeit lebt, einfach auch zu einer Befreiung führt. Inwieweit haben Sie sich von solchen Gedankengängen beeinflußt gefühlt?

Ich komme aus einer zionistischen Familie. Ich würde sagen, meine Einstellung ist postzionistisch. Der Zionismus hat eine gewaltige Rolle im Aufbau dieses Staates gespielt. Für mich ist der Zionismus im Grunde, wenn ich ihn auf die einfachste Formel reduzieren will, der Entschluß, daß wir Juden unser Schicksal in die eigene Hand nehmen. Unser Schicksal selbst bestimmen und alles das Gute und alles das Schlechte tun können, was wir wollen, und dafür die Verantwortung übernehmen. Das ist es. Alles andere hat man hinzugefügt, aber der Zionismus als solches ist nur das: Wir wollen in unserem eigenen Staat leben und unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. In dieser Hinsicht bin ich Zionist heute und werde es immer sein. Wenn Zionismus ein Chauvinismus ist, der darauf aufgebaut ist, daß ein anderes Volk verdrängt wird, bin ich kein Zionist. Ich betrachte die Geschichte des Zionismus kritisch, mit all den wunderbaren Sachen, die der Zionismus vollbracht hat, und all den ziemlich schlimmen und üblen Sachen, die er auch vollbracht hat. Beides gehört zur Geschichte des Zionismus, gehört zur Vergangenheit. Man muß sich damit auseinandersetzen, man muß das akzeptieren als einen Teil unserer Vergangenheit. Auch mit meiner persönlichen Vergangenheit, denn als Soldat im Krieg habe ich dazu beigetragen, daß arabische Dörfer entvölkert worden sind und eine ethnische Säuberung stattgefunden hat. Und keiner von uns kann die Verantwortung dafür verdrängen. Ich glaube, wir sind heute eine neue Nation. Diese Nation ist hebräisch und israelisch. Wir haben sehr viele gute und schlechte Sachen aus dem Judentum übernommen, aber wir entwickeln es weiter und es ist in Israel heute schon etwas anderes, und wird immer mehr etwas anderes werden. Ich bejahe diesen Vorgang und hoffe, daß ich und viele andere Leute in der Zukunft darauf einwirken werden, um ein schönes und gutes Volk daraus zu machen. Was es werden wird, weiß keiner.

Aber Sie haben mir auch mal an einer anderen Stelle gesagt, daß es wichtig wäre, Zionist zu sein, weil die Mehrheit der Bevölkerung Israels zionistisch eingestellt ist und wenn man eine anti-zionistische Position hat, kann man die Bevölkerung auch nicht von dieser Idee des Dialogs, zwei Völker brauchen zwei Staaten und so weiter, überzeugen.

Wir wollen keinen Frieden machen zwischen zwei theoretischen Völkern, sondern zwei Völkern, so wie sie sind. Mit den Israelis, wie sie sind, und mit den Palästinensern, wie sie sind. Ich habe das meinen palästinensischen Kollegen sehr, sehr oft gesagt: Vielleicht wünscht ihr euch ein anderes israelisches Volk, um mit ihm Frieden zu machen, aber es ist das israelische Volk, und das israelische Volk ist zionistisch, jedenfalls definiert es sich als zionistisch. Und mit diesem Volk werdet ihr Frieden machen. Und ich habe darum immer betont in Verhandlungen mit Palästinensern, daß ich ein Zionist bin. Um nicht die Illusion aufkommen zu lassen, daß sie mit Leuten verhandeln, die keine Zionisten sind. Natürlich ist es viel leichter für Palästinenser, mit jemand zu verhandeln, der nicht Zionist ist, denn für die Palästinenser ist Zionismus ein ganz, ganz schlimmes Schimpfwort. Denn der Zionismus wird verantwortlich gemacht für das schreckliche Unglück, das dem palästinensischen Volk passiert ist.

Wäre es denn nicht einfacher, wenn man von Nationalismus sprechen würde? Die Kommunistische Partei in Israel hat sich ja auch lange für den Dialog mit den Palästinensern eingesetzt. Die waren ja dezidiert anti-zionistisch. Vielleicht können Sie etwas dazu sagen, wie Ihr Verhältnis zu dieser anderen Position war und auch, wieso Sie meinen, daß es absolut wichtig ist, auch aus einer zionistischen Position heraus diesen Dialog zu beginnen.

Die Kommunistische Partei war immer eine arabische Partei, das heißt, 90% der Wähler waren Araber, und darum war es eine arabische Partei und brauchte auf die wirkliche Öffentlichkeit in Israel, die jüdische Öffentlichkeit, keine Rücksicht zu nehmen. Und so lange die Sowjetunion bestanden hat, war es ja überhaupt nur wichtig für sie, Eindruck in Moskau zu machen und nicht in Jerusalem. Und sie haben diese Position der zwei Staaten erst übernommen, nachdem die Sowjetunion sich 1970/71 dazu bekehrt hat. Wenn man Frieden machen will, dann braucht man die Mehrheit seines Volkes, und man muß die Mehrheit seines Volkes für den Frieden überzeugen. Nicht nur die Mehrheit, sondern beinah alle Israelis, 95% und mehr, der jüdischen Israelis, sind Zionisten. Bekennen sich als Zionisten. Was der Zionismus ist, ist eine große Frage, denn der Zionismus ist eine Idee wie der Sozialismus. Es gibt alle möglichen Schattierungen von ultra-rechts, praktisch faschistisch-zionistischen Tendenzen, bis hin zu praktisch kommunistischen Tendenzen. Wir hatten eine zionistische Partei, die so gut wie kommunistisch war außer auf diesem einen Gebiet der Ablehnung des Zionismus durch die Sowjetunion. Wenn Sie heute einen Durchschnitts-Israeli fragen: Was ist Zionismus?, dann meint der ganz einfach einen israelischen Nationalismus. Sie können die Worte austauschen. Aber die Israelis definieren sich als Zionisten, und das muß man einfach akzeptieren, wenn man nicht den Frieden auf Generationen verzögern will, bis neue Lehren auftauchen. Und das habe ich immer so anerkannt, und obwohl ich nie ein sehr orthodoxer Zionist war, habe ich versucht, eine Brücke zu schlagen zwischen der zionistischen Vergangenheit und der israelischen Zukunft nach dem Frieden mit den Palästinensern.

Die sozialistische Bewegung hat einen langen, ganz wichtigen Einfluß in diesem Land gehabt, oder die Ideen des Sozialismus, sagen wir mal. Das hat sich auch ausgedrückt in der Kibbuz-Bewegung. Könnte man sagen, daß der Kibbuz als gesellschaftliches Modell mal so etwas wie eine moralische Instanz hier im Land war, also auch über den Kibbuz hinaus Einfluß auf das Denken, auf die Wertvorstellungen hier im Land gehabt hat? Was ist davon übrig geblieben?

So gut wie nichts. Der Kibbuz ist tot. Es bestehen noch Kibbuzime, die haben sehr wenig mit dem zu tun, was früher Kibbuzime waren. Ich glaube, im Ausland hat man nie ganz richtig begriffen, was ein Kibbuz ist. Der Kibbuz ist nicht nur ein soziales Gebilde. Der Kibbuz war nicht nur sozialistisch, der Kibbuz war hauptsächlich nationalistisch. Der Kibbuz war eine militärische Festung. Einen Kibbuz kann man eigentlich am besten mit Kreuzritterorden vergleichen. Der Kibbuz fühlte sich als Vorposten der nationalen Bewegung des Zionismus. Es waren Kampfpositionen, um Gebiete in die Hand zu bekommen, so waren sie ja auch geplant. Und sie waren auch sozialistisch. In dem Augenblick, wo diese Kampffunktion entfallen ist, also der Staat sich ohne die Kibbuzim verteidigen kann, und der Kibbuz nur auf die soziale Idee gestellt war, hat er den Kampf verloren. Es genügte einfach nicht, denn um in einem Kibbuz zu leben, wirklich im Gemeinschaftsleben, braucht man eine sehr, sehr starke Motivation. Es widerspricht der menschlichen Natur. Leider. Nur eine sehr starke Motivation kann Leute dazu bringen, so ein Leben zu führen. Die erste Generation der Kibbuz-Mitglieder und zum Teil auch die zweite Generation hatte diese starke Motivation, die nationalistisch und sozialistisch war. Beides. Von dieser Motivation ist nichts mehr da. Und darum führt heute der Kibbuz ein Rückzugsgefecht, der im Grunde verloren ist, denn in einer normalen Lebensart diese Lebensform weiterzuführen, ist beinah unmöglich.

Was hat diese Motivation ersetzt? Was gibt es jetzt statt dessen? Sie haben gerade von den Motivationen der Gründungsgenerationen gesprochen. Was ist an deren Stelle an Wertvorstellungen getreten?

Israel wird ein normaler Staat. Außer den religiösen Elementen, die ihre eigene Motivation haben, wollen die Leute in Israel heute ein normales Leben führen in einem normalen Staat mit einer normalen Wirtschaft, mit normalen Wertvorstellungen. Genauso wie andere. Man wirft es uns ja vor: ihr wollt ein Staat sein wie alle anderen, und das wäre nicht jüdisch; und: wofür brauchten wir einen Staat Israel, wenn wir doch nur ein Staat sein wollen wie andere. Wir wollen ein Staat sein wie alle anderen. Hoffentlich einer der besseren oder besten Staaten in der Welt. Hoffentlich. Aber unser Staat. Das einzige, was uns von anderen Staaten unterscheidet, ist, daß es unser Staat ist, daß wir dort unser Schicksal bestimmen in unserer eigenen Demokratie. Und darum haben wir eine Diskussion mit den Religiösen, ohne daß wir mit ihnen eine gemeinsame Basis haben, denn die wollen etwas, was uns fremd ist, und was wir wollen, gilt ihnen als absoluter Frevel und Sünde. Den Religiösen in ihrer Propaganda geht es darum zu zeigen, die anderen wollen, daß Israel nicht ein jüdischer Staat ist, sondern ein normaler Staat wie alle anderen. Ja, genau das, das wollen wir. Wir wollen ein normaler Staat sein mit hoffentlich einer guten Demokratie und hoffentlich mit guten Wertvorstellungen: humanistisch, liberal, demokratisch. Das ist alles im Grunde.

Und was wird aus dieser Ideologie der Politik der Stärke? Was wird daraus werden?

Die Ideologie des Staates, die alten Mythen werden langsam abgebaut. Das geschieht schon jetzt. Wir haben heute eine ganze neue Generation von Historikern, die sich als postzionistisch definieren und deren Zweck es ist, mit den alten Mythen aufzuräumen. Es spuken Tausende von Mythen herum, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben, auch mit der Realität der Vergangenheit nicht, die wir abbauen müssen, um ein normales Volk zu werden. Das wollen wir auch. Und am Ende werden wir ein normales Volk werden. Die Frage ist: Was für ein normales Volk?

Können Sie vielleicht ein Beispiel geben zur Arbeit dieser postzionostischen Historiker?

Es gibt jetzt Dutzende von neuen Forschungen über die Geschichte Israels und auch Vor-Israels. Zum Beispiel gibt es den Mythos, daß wir im Krieg von '48 in einem Krieg von Wenigen gegen Viele, gegen eine ungeheure, gewaltige Übermacht gekämpft haben. Wir waren ja nur, als der Staat ausgebrochen ist, wie wir auf Hebräisch sagen, im ganzen Land 635.000 Juden. Und uns gegenüber waren 100 Mio. Araber. Aber natürlich ist das totaler Unsinn, denn im Krieg haben nur die teilgenommen, die Soldaten waren auf beiden Seiten. Im Krieg hatten wir die Übermacht, weil wir die innere Linie hatten, waren wir imstande, in jeder Schlacht eine Übermacht zu stellen. Und darum waren wir nie Wenige gegen Viele, wir waren klug genug, um Viele gegen Viele zu sein, und wir, die wir Soldaten waren, wir wußten das immer. Aber das ist so ein Mythos, der von Generation zu Generation fortgepflegt wird, und man lernt es in den Schulen, und alle sind davon überzeugt. Man kann jeden Mann auf der Straße aufhalten: Was habt ihr im Krieg getan – Wir waren die Wenigen, die die Vielen... Heute kommen die Forschungen mit genauen Fakten und Daten, wer wann wo wie. Natürlich wird mit diesem Mythos aufgeräumt. Dann besteht ein Mythos, daß in den Jahren zwischen '48 und '67 die Syrer von den Golan-Höhen nach unten auf die Kibbuzim mutwillig geschossen haben, ohne jeden Grund. Daß wir uns verteidigen mußten und darum am Ende die Golan-Höhen erobert haben. Die Forschung beweist, daß alle diese Zwischenfälle sehr gute Gründe gehabt haben, daß sehr oft wir diese Zwischenfälle geplant haben und daß es nicht ein einseitiges Bild, sondern ein zweiseitiges Bild gibt. So wird langsam mit allen diesen Sachen aufgeräumt. Hauptsächlich natürlich mit dem arabischen Flüchtlingsproblem. Wie ist das Flüchtlingsproblem entstanden, darüber gibt es heute genaue Forschungen, Dorf für Dorf, für Hunderte von Dörfern. Wie sind die Leute geflohen, warum, in welcher Situation? Sind sie dazu gezwungen worden und von wem? Dieser Mythos, daß die arabischen Führer die Palästinenser aufgerufen hätten, ihr Land zu verlassen, diese total wahnsinnige Idee, von der jeder Israeli total überzeugt ist, mit der wird heute aufgeräumt. Das ist totaler Unsinn. Es war nie so. Es war anders. Das Aufräumen der Mythen spielt eine wichtige Rolle im Friedensprozeß, denn wenn wir immer total Recht hatten, und die anderen immer total Unrecht hatten, warum sollen wir dann Frieden machen? Mit jemand, der total Unrecht hat? Langsam entsteht ein mehr balanciertes Bild, wo zwei nationale Bewegungen oder zwei Völker auf einer sehr tragischen Weise aufeinandergestoßen sind, und keiner ganz Recht hatte. Und keiner ganz Unrecht hatte. Und jeder glaubte, total im Recht zu sein. Diese Einsicht ist sehr, sehr wichtig, um einen Frieden herzustellen, denn für einen Frieden braucht man auch eine geistige Bereitschaft, die andere Seite zu akzeptieren. Wenn die Araber ganz einfach eine Mörderbande ist, die uns ins Meer werfen wollen, oder wenn die Israelis eine Räuberbande sind, die aus der ganzen Welt gekommen sind, um die Araber aus ihrem Land zu vertreiben und für die Imperialisten und für die Kolonialisten ein Vorposten zu sein, dann ist ein Frieden sehr, sehr schwer zu erreichen und hat auch keinen wirklichen geistigen Fundamente. Und darum ist diese Aufgabe meiner Ansicht nach äußerst wichtig. Ich habe es ja auch versucht. Dieses Buch, das ich 1967 geschrieben habe und das '68 auch in Deutschland rausgekommen ist, hat gerade das versucht, die Geschichte dieses Konfliktes so zu beschreiben, daß es beide Seiten akzeptieren können. Und jede Seite akzeptieren kann, daß die andere Seite nicht total unmoralisch war, sondern die andere Seite aus seiner eigenen Sicht auch glaubte, zu Recht zu handeln und Recht zu haben.

Haben Sie eine persönliche Utopie, die Sie gerne verwirklicht sehen möchten?

Weiß ich nicht.

Der Frieden zwischen diesen beiden Völkern ist das zentrale Element, für das Sie gekämpft haben.

Es wird zu einem Frieden kommen in einem Jahr oder in fünf Jahren oder in zehn Jahren. Ob ich es noch erlebe – meine Mutter hat zwar bis zum 95. Lebensjahr gelebt, und da habe ich noch einige Zeit. Aber ich möchte doch, daß es früher passiert. Ich möchte das noch miterleben. Ich glaube auch, daß ich es erleben werde. Denn ich möchte noch ein Buch darüber schreiben, nachdem es zustande gekommen ist. Ich hoffe, daß es passieren wird.

Sie werden ein Buch schreiben.

Eines Tages, wenn ich mal alt bin, und alt werden war für mich immer zehn Jahre mehr, als ich in jedem gegebenen Augenblick war, dann möchte ich wirklich mal meine Memoiren schreiben. Ich habe den Ehrgeiz, daß es ein wichtiges Buch sein soll und eine Aussage über das Zeitgeschehen und den Zeitgeist. Ich hoffe, daß ich das noch zustande bringe. Ich hätte es eigentlich jetzt schon tun sollen, aber ich kann es mir einfach nicht erlauben, mich abzuschneiden und mich irgendwie zu isolieren, um so was zu schreiben, und darum tue ich das auch nicht. Ich hoffe, daß die Friedensbewegung ihre Aufgabe erfüllt. In dem Augenblick, wo ich fühle, daß die Hauptaufgabe erfüllt ist, daß man sich wirklich zur Ruhe setzen kann, dann werde ich direkt genau das tun. Ich werde mich irgendwohin zurückziehen, mit einem Hund, einem Pferd, einer Katze und meinem Computer – und werde meine Memoiren schreiben.

Herzlichen Dank.
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