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„Sie sollen Milosevic stürzen, nicht unsere Brücken“

Die Story: Europa war so nah – Novi Sad ein Jahr nach den Nato-Bomben, WDR

Eine junge Frau und ein Mann fahren im Auto an den Ufern der Donau vorbei, Musik ertönt – ein friedliches Bild. Schnitt. Man sieht den Abwurf von Nato-Bomben auf die Brücken von Novi Sad. Vor einem Jahr wurden sie zum Symbol des "Kriegs gegen Milosevic", wie es vielfach in den Medien hieß. Eine irreführende Sprachregelung, ein Krieg wird niemals nur gegen ein Staatsoberhaupt geführt.

Die Filmemacher Monika Nolte und Robert Krieg machen mit filmischen Mitteln deutlich, wie das Leben der Zivilbevölkerung in Novi Sad durch die zerstörten Brücken beeinträchtigt wurde. Der Feuerball am Himmel, den man vor einem Jahr im Fernsehen sah, bekommt Konturen: Ganze Stadtteile sind voneinander getrennt, die Wasserversorgung funktioniert teilweise nicht mehr, Menschen drängen sich auf einer überfüllten Fähre, um auf die andere Seite des Flusses zu gelangen.

"Wir waren so nah dran an Europa", sagt der Rockmusiker Bebec deprimiert und nutzt die Gelegenheit, seine deutschen Kollegen von der Band "Kraftwerk" zu grüßen. Er und die Schlagzeugerin Biljana haben sich nicht von Milosevic vereinnamen lassen. Während der Nato-Angriffe haben sie nicht – wie andere Gruppen – auf den Plätzen und Brücken gespielt. "Wenn sie Milosevic stürzen wollen, dann sollen sie ihn stürzen und nicht unsere Brücken", so die Meinung der jungen Musiker. Sie fühlen sich von den europäischen Nachbarn verraten: Milosevic sitze fester denn je im Sattel. Bombardierungen und Wirtschaftssanktionen hätten ihm sogar geholfen, die Menschen auf seine Seite zu bringen.

Die Autoren befragen auch den Stadtrat Aleksandar Ivkovac, ebenfalls ein Regimegegner. Er hat in Deutschland studiert und hofft auf Europa. Seine Meinung über die amerikanische Politik: Bei diesem Krieg sei es nicht wirklich um die im Grunde unbedeutende, kleine Region Kosovo gegangen. Jetzt wartet er darauf, dass endlich eine partnerschaftliche Politik stattfinden wird.

Ivkovac sieht die Chancen allerdings schwinden. Der Wiederaufbau der Brücken mit europäischer Hilfe könne ein Signal sein. Doch der Partner, mit dem verhandelt und der erneut von den Europäern stabilisiert werde, heiße wieder einmal Milosevic...

Die Autoren stellen in ihrem Film die Logik des Krieges generell in Frage. Sie zeigen, dass "die Serben" – in deutschen Fernseh-Dokumentationen bisweilen unbedacht zum kollektiven Feindbild stigmatisiert – Individuen sind.

Wenn Bebec und Biljana in einem Alternativ-Cafe sitzen, in die Sonne blinzeln und über ihnen an der Hauswand ein Graffiti "Bullshit-Propaganda" hängt, könnte dies überall auf der Welt sein: In Berlin, New York, Paris oder London. Nur, dass diese jungen Musiker aus Novi-Sad weniger Zukunftschancen haben als anderswo. Ihr Land sei zum Armenhaus Europas heruntergebombt worden, sie müssten sich häufig gegen Vorurteile wehren. Biljana sagt in der Dokumentation ironisch: "Ich bin Serbin, deswegen solltet ihr Angst vor mir haben".

"Europa war so nah" ist ein intelligent konzipierter Dokumentarfilm, der einen europäischen und pazifistischen Ansatz mutig zuende denkt.

Gitta Düperthal

Frankfurter Rundschau, 17. Juni 2000
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